Watschenbaum und Nachkriegsvanillepudding

Wild, archaisch, dunkel – Die fiktive Welt von Helena Adler stellt man sich am besten vor wie ein animiertes Bruegel-Panorama. Dieser Ratschlag steht auch zu Beginn des Romans „Die Infantin trägt den Scheitel links“, gleich nach dem sarkastischen „Home Sweet Home“. So sind wir gleich mittendrin bei der Ich-Erzählerin, ein kleines Mädchen, das trotzig, stur…

Aris Fioretos: „Es gab keine klare Zugehörigkeit – na und?“

Der Schriftsteller Aris Fioretos über Identität, Sprache als tragbare Heimat, das Aufwachsen zwischen unterschiedlichen Kulturen – und darüber, was die Marillenmarmelade seiner Großmutter mit all dem zu tun hat. Ihr Vater ist als politischer Flüchtling nach Wien gekommen und dann mit Ihrer österreichischen Mutter nach Schweden ausgewandert. Was denken Sie über die Integrationsdebatten dieser Tage?…

Das Leben als Stillleben

»Immerjahn« von Barbara Zeman Barbara Zeman wagt sich in ihrem Debüt »Immerjahn« rund um einen gescheiterten Künstler und erfolgreichen Erben, an eine skurrile Familienaufstellung in Petersburger Hängung. Ein Roman wie eine aus der Zeit gefallene verstaubte Wunderkammer. Immerjahn ist nicht für jedermann. »Er hatte in seinem Leben nicht so viel erlebt, war doch nichts als…

Die verlorene Ehre des Ludwig Blum

Daniel Zipfel verhandelt in seinem Debütroman, »Eine Handvoll Rosinen«, Asylpolitik in Österreich. Die fiktive Wirklichkeit darin wird dieser Tage von der Realität eingeholt. Die titelgebenden Rosinen sind symbolisches Macht- und Zahlungsmittel der Schlepper beim Drehen krummer Geschäfte. Eine Handvoll davon hätte der afghanische Schlepper Nejat Salarzai wohl für seinen Kontakt zu einem westeuropäischen Fremdenpolizisten, verkörpert…

Durchhalten auf der Gefängnisinsel

Mary stand vor der Examensarbeit, Monate zuvor hatte sie den fanatisch-chaotischen Dimos kennengelernt. In ihre Geschichte knüpft sie Rückblicke an die erste Verliebtheit und die Schwere des Elternhauses. Beides Ereignisse, die erst aufgearbeitet gehören, während in ihr die Zukunft heranwächst und sie mitten in die Athener Studentenunruhen vom November 1973 hineinstolpert. Das markiert den Anfang…

Kirtagstänze, Kirchengänge und Körperflüssigkeiten

Wenn der Toni mit der Moni, dann ist das nichts für empfindliche Mägen, aber postmodern like in 2006. Die Metaebene versteckt sich hinter den Bergen, bei den sieben Zwergen. Ein Sittenbild, boshaft verzerrt. Es war einmal ein Stück österreichischer Gegenwartsliteratur, das mit den Erzählebenen spielte. Vor dem Hintergrund einer Anti-Heimatroman-Kulisse, mit Frischverliebten, Dramatik und Spannung.…

„No Sports“ hat Churchill nie gesagt

Das Apfelbäumchen von Luther oder Dummheit und Universum von Einstein: Wir mögen diese pointierten Sätze, geflügelten Worte und Sprichwörter. Am liebsten als Zitierung von Leuten, die jeder kennt (wenn nicht durch deren Werk, dann zumindest durch jene vermeintlichen Zitate). Nicht selten werden diese Aussagen denjenigen nur zugeschrieben. Aristoteles, Churchill, Ghandi und Goethe tauchen besonders häufig…

Universitätsmamsellen

Die königliche Majestät sei gewillt hier eine Universität zu errichten, hieß es am 23. April 1733. Ausführlich und mit historischen Fakten gespickt, rollt Eckart Kleßmann die Anfänge der Universitätsstadt Göttingen auf. Die erste Frau wird allerdings erst im fünften Kapitel erwähnt: Eine Witwe in Klammern – passiver geht’s nicht. Nur langsam erkämpfen sich Frauen ihren…

Freiheit in Krähwinkel

Geistreich, mit Sprachwitz und von unheimlicher Aktualität „Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht verboten“, schrieb Karl Kraus – bekanntlich Nestroy-Fan erster Stunde – und nannte ihn einen Hohngiganten. Er verteidigte ihn einerseits gegen die Vereinnahmung durch die leichte Muse, anderseits gegen politische Vereinnahmung von links. Denn Nestroy war eigentlich Anhänger der konstitutionellen Monarchie.…