Thomas Maurer: „Als Kabarettist müsste man sich fast Türkis-Blau noch einmal wünschen.“

Fakt oder Meinung? Das fragt sich der Kabarettist Thomas Maurer in seinem bereits 18. Soloprogramm. Die österreichische Innenpolitik bringt er bei den Staatskünstlern unter. In „WOSWASI“ wandelt er auf den „psychologischen Leimrouten, die sich das Hirn selbst auslegt“ und zeigt menschliche Denkmuster auf, die uns bei der Meinungsbildung ein Haxl stellen. Das Buch des Nobelpreisträgers Daniel Kahnemann „Schnelles Denken, langsames Denken“ gab dazu den Anstoß.
Warum er Studierenden die Ohren langziehen will und was ihn an al-Gadaffi interessiert, verräter im Interview. Über Schwarmintelligenz, Unglauben und Nichtwissen.

Ist WOSWASI die österreichische Variante von Sokrates‘ Aussage „Ich weiß, dass ich nichts weiß“?

Der Abend entzündet sich an der simplen Frage ,Warum bin ich eigentlich so deppat?‘ Es geht um das Denken und das Erkennen. Und darum, wie man selbst draufkommt, ob man eine Meinung einfach nur hat oder ob man sie auch ausreichend begründen kann.

„Wos was i“ steht oft als Eingeständnis der Unwissenheit am Ende Ende einer verzweifelten Suche.

Man kann es alstrotzige Ablehnung auffassen und es hat etwasResignatives. Wenn man sich mit den Limits des menschlichen Denkens beschäftigt und den psychologischen Leimrouten, die sich das Hirn selbst auslegt, folgt, dann kommt man drauf: Den großen Durchblick wird ein Einzelner nicht erreichen.

Sind Sie also ein Verfechter der Schwarmintelligent?

Die wird überschätzt. Unsere Welt ist unfassbar komplex. Wir verwenden Dinge, von denen wir keine Ahnung haben, wie und warum sie funktionieren und wir könnten sie nie reparieren. Schwarmintelligenz ist die romantische Vorstellung, dass die Mehrheit Recht hat. Das ist nicht zwangsläufig der Fall.

Masse beziehungsweise Mehrheit hat vielleicht nicht Recht, aber jedenfalls Macht.

Ja, wobei bei der Wahl zu Donald Trump – ein Beispiel für Schwarmunintelligenz – haben auch nicht die Mehrheit, sondern die Wahlmänner entschieden. 

Wenn Ihnen eine Meinung und ein Fakt auf der Straße begegnen. Wie unterscheiden Sie die beiden?

Die Meinung ist eine schillernde, einnehmende Persönlichkeit. Der Fakt ist meistens eher fad. Und man trifft ihn seltener. Meinung lässt sich ist billiger und schneller produzieren als Recherche. Das merkt man dem Gegenwartsjournalismus, dem das Geld ausgeht, im gesamten Westen an.

Während man sich in Russland und China gar nicht erst die Mühe macht und (staatlich) gelenkter „Journalismus“ eine lange Tradition hat.

Unsere Vorgängerregierung hätte ja auch gerne direkten Zugriff auf das statistische Zentralamt gehabt. Damit man eben nicht von diesen blöden Fakten abhängig ist, wenn man Meinung bilden möchte.

Rund um Fakt oder Meinung gibt es kein Henne-Ei-Problem. Es sollte immer zuerst der Fakt stehen und darauf basierend die Meinung.

Das wäre der Idealfall. Meistens ist es umgekehrt. Die Listen der kognitiven Verzerrungen zeigen die menschlichen Denkmuster dahinter. Da geht es um fehlerhafte Neigungen beim Wahrnehmen und Urteilen. Wenn man Menschen, die mit emotionaler Inbrunst an etwas glauben, beweist, dass es nicht stimmt, dann vertieft das ihren Glauben sogar noch mehr. Der Kampf der Argumente ist eine gute Idee der Aufklärung, aber sie hat nicht immer den Praxistest bestanden.

Vieles, das vor kurzem noch als allgemeingültig galt, wird heute hinterfragt.

Die Zweifel an der Klimaveränderung beispielsweise sind massiv geschürt worden von US-amerikanischen Konzernen wie den Koch-Brüdern und den üblichen Verdächtigen aus der Mineralölwirtschaft. Es ist viel Geld geflossen, damit der Eindruck erweckt wird, das Thema sei umstritten. Schuld der Medien ist, dass man wegen vermeintlicher Objektivität zu jeder Debatte Klimaskeptiker einlädt, obwohl 99 Befürworter am Podium sein müssten, um prozentuell einen Skeptiker zu rechtfertigen.

Online wird auch immer schneller nach der Meinungsfreiheit gerufen. Ist sie denn in Gefahr?

Wenn ich für jeden Idioten oder jede Idiotin, von der ich gelesen oder gehört hab, dass man „das, was er oder sie gerade gesagt hat, ja nicht mehr sagen dürfte“, einen Cent bekommen würde, müsste ich nicht mehr arbeiten.
Die politische Korrektheit hielt ich für ein US-amerikanisches Phänomen, das bei uns von FPÖ-und-Kronenzeitungskreisen zu einem Popanz aufgeblasen wurde. Dass das mittlerweile Leute für eine gute Idee halten, ist bedauerlich.

Es geht so weit, dass Studierende den Auftritt von Alice Schwarzer auf der Uni verbieten wollen…

Man kann über Schwarzer streiten, aber dass sie auf universitärem Boden den Mund nicht aufmachen darf, noch dazu zu einem Thema, von dem sie wirklich Ahnung hat – nämlich Kampagnenführung – das ist einfach nur lächerlich. Dafür würde ich die Damen und Herren Hochschülerschaft gerne freundlich nicht schmerzhaft an den Ohren ziehen.

Wie bilden Sie Ihre Meinung?

Man kann ja nicht alles nachprüfen, was einen interessiert. Ich hab bis heute keine Ahnung, was die Nato und weite Teile der EU, dazu bewogen hat, Libyen zu bombadieren. Als al-Gaddafi eh schon streichelweich und verhandlungsfreudig war. Die Recherche würde wahrscheinlich zwei Wochen brauchen, diese Zeit habe ich nicht.

Die Digitalisierung erfordert  – zumindest scheinbar – dass man immer schneller und zu allem eine Meinung hat.

Wir sindgut beraten, ein bisschen zu entschleunigen. Die Onlinekultur enthemmt und Scham- und Höflichkeitsgrenzen. Wenn man ausreichend zornig ist, hat man sich selbst schon bestätigt, dass man im Recht ist. Menschen sind gerne im Recht. Auch solche, die gar nicht gerne nachdenken, möchten über alles bescheid wissen. Das Internet ist das ideale Trägermedium dafür.

Was war die Inspirationsquelle für dieses Kabarett-Thema?
Das eigene Leben und Versagen. Anekdoten sind so oder ähnlich passiert und ein paar sind frei erfunden, wie es sich gehört für ein Produkt künstlerischer Arbeit. Das Programm ist ein persönliches Amüsement darüber, wie man sich selbst das Haxl stellen kann, gewürzt mit den Erkenntnissen von gescheiteren Menschen.

Daniel Kahnemann „Schnelles denken, langsames Denken“, eines der gescheitesten Bücher überhaupt, war eine wichtige Quelle. Widersprüche und komplizierte Dinge sind immer dankbarer Kabarettstoff.

Apropos: Spielt die österreichische Innenpolitik in „WOASWASI“ auch eine Rolle? Mein tagesaktueller, innenpolitischer Gusto ist bei den Staatskünstlern gut gestillt. Der ehemalige Bundeskanzler hat nur einen kleinen Gastauftritt.

Wenn das Programm startet hat Österreich vielleicht wieder eine neue Regierung. Wie viel Pointen-Potential wittern sie bei Grün-Türkis?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie die perfekt geölte Message-Control-Propaganda-Maschine gemeinsam anwerfen. Die Technik, dass jedes Mal, wenn was Blödes passiert ist, ein Imam verhaftet wird oder Bundesheer an der Grenze aufmarschiert – diese schnellen Vertuschungsaktionen werden bei Türkis-Grün nicht funktionieren. Als Kabarettist müsste man sich fast Türkis-Blau noch einmal wünschen. Aber nachdem ich auch Staatsbürger bin, bin ich einverstanden, wenn das keine Fortsetzung findet.

WOSWASI ist das 18. Soloprogramm des Kabarettisten Thomas Maurer. Premiere ist am 13. Jänner 2020 im Wiener Stadtsaal. Zuvor spielt der 52-Jährige in dieser Woche zehn Vorpremieren. Am 27. Februar 2020 um 20 Uhr ist Maurer mit WOSWASI in der ARGEkultur Salzburg. Und im April dann als Teil des Kabarettkollektivs „Staatskünstler“.

(Foto: Lukas Beck)

 

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