Geistreich, mit Sprachwitz und von unheimlicher Aktualität
„Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht verboten“, schrieb Karl Kraus – bekanntlich Nestroy-Fan erster Stunde – und nannte ihn einen Hohngiganten. Er verteidigte ihn einerseits gegen die Vereinnahmung durch die leichte Muse, anderseits gegen politische Vereinnahmung von links. Denn Nestroy war eigentlich Anhänger der konstitutionellen Monarchie. Doch es gab eine Unterbrechungen in dieser Vorliebe. Eine davon zeigt sich deutlich in der Posse „Freiheit in Krähwinkel“, für die er die Ereignisse vom 13. März bis zum 27. Mai 1848 aus Wien in das musterhafte Modell beschränkter Kleinstädterei umlegt. „Also, wie’s im großen war, so haben wir’s hier im kleinen g’habt…“, verdeutlicht das Eberhard Ultra, jene sympathische Figur des progressiven Wutbürgers mit weiterem Horizont, die Nestroy selbst zugeschrieben wird. Darauf folgt ein Staccato an österreich-typischen Verkleinerungsformen: „Wir haben ein absolutes Tyrannerl, wir haben ein unverantwortliches Ministeriumerl, ein Bureaukratierl, ein Zensurerl, Staatsschulderln, weit über unsere Kräfterl, also müssen wir auch ein Revolutionerl und durchs Revolutionerl ein Konstituterl und endlich a Freiheiterl krieg’n.“
Das Revolutionsstück polarisierte schon rund um seine Erstaufführung am 1. Juli 1848. Mit der Verbindung vom traditionellen possenhaften Charakter und Satire konnten viele nichts anfangen, andere hielten das Stück für eine „Eintagsfliege“, hochgetuned von der aktuellen Tagespolitik. Die Zeit war nicht nur satirefeindlich, sondern von der Zensur beherrscht. Nestroy schüttelte den Kopf darüber, wie er schreibt in einem Aphorismus „und das ist alles, war ich unter so bewandten Umständen tun konnte, und ich tat es bedeutend.“
Er ist wie immer erst einmal skeptisch gegenüber allem. Und so kämpft er gegen patriarchalischen Despotismus, Spitzeltum und Bürokratie an, vergisst aber auch nicht auf die negativen Seiten bei revolutionären Ereignissen. Das macht das Stück besonders lesenswert und zeitlos. Wie gewohnt stellt er Pathos und Parodie nebeneinander und zeigt die paradoxen Züge der geplanten Revolte – am Stammtisch sind nur wenige Vertreter echten Interesses –, sowie die Schwierigkeit, große Ideen auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Er parodiert das Mitläufertum und die gewaltbereite Masse, die sich selbst wenig Gedanken macht. Das erzeugt eine ähnliche Wirkung wie Gustave Flauberts „L’Éducation sentimentale“, wo der jungen Frédéric Moreau nur kurz für die politischen Ideale und Ziele brennt, um dann in intellektueller Mittelmäßigkeit und Bequemlichkeit zu versinken. So ist das Ganze als Sittenspiegel jeder linken Bewegung zu verstehen, auch z.B. wohltuend für die Kinder der 1968er-Bewegung.
Von der Zentralfigur Eberhard Ultra kommen großartige Aussagen wie: „Die Zensur is das lebendige Geständnis der Großen, daß sie nur verdummte Sklaven treten, aber keine freien Völker regieren können“. Bedenkt man Donald Trumps Umgang mit Medien, Debatten über die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit oder zur politischen Korrektheit, so tut es gut Nestroy wieder zu lesen, denn trotz allem erkennt er auch, dass antirevolutionäre Kräfte und politisches Desinteresse die Freiheit zerstören.
(erschienen als „Wieder gelesen“ im Falter, Politisches Buch)
Posse mit Gesang in zwei Abteilungen und drei Akten. Hrsg.: Hein, Jürgen. 88 Seiten