Mary stand vor der Examensarbeit, Monate zuvor hatte sie den fanatisch-chaotischen Dimos kennengelernt. In ihre Geschichte knüpft sie Rückblicke an die erste Verliebtheit und die Schwere des Elternhauses. Beides Ereignisse, die erst aufgearbeitet gehören, während in ihr die Zukunft heranwächst und sie mitten in die Athener Studentenunruhen vom November 1973 hineinstolpert. Das markiert den Anfang vom Ende der Militärdiktatur. Der Protest wird niedergeschlagen und eine der Gefängnisinseln wieder aktiviert. Dort kämpft Mary am Rande des menschlichen Daseins. Sie merkt, wie weit sie sich von der Person entfernt, die sie einmal war. Der schmerzhafte Gewissenskonflikt – Kind oder Mann – bedeutet für uns: Lesen mit zusammengebissenen Zähnen. Denn Fioretos neigt zu außergewöhnlicher Symbolik, damit ihm nur ja keine abgedroschene Metapher entwischt. Er entwickelt in jedem seiner Romane eine derart körperliche, spürbare Sprache. Fast riecht man den Meerschaum, den schimmelnden Putz, fauligen Fisch und Müll, um den sich die Ratten scharren. Und damit zieht Mary einen auf diese unwirtliche Gefängnisinsel. „Je sorgsamer ich bin, je mehr ich mich auf eine Handlung konzentriere und ganz und gar die Aufmerksamkeit bin, mit der sie ausgeführt wird, desto deutlicher wird die Welt mir etwas erwidern.“ Der Schriftsteller Aris Fioretos wird oft als Parade-Europäer bezeichnet, was immer das auch sein mag. Die Mutter Österreicherin, der Vater Grieche, geboren und aufgewachsen in Schweden, studiert in den USA und nun in Berlin und Stockholm lebend. Vordergründig ist er ein kluger Mensch , den man deshalb zum Gespräch über seine Lebensorte trifft. Hier im Interview über Griechenland, Deutschland und Heimat. Wie Fioretos in „Mary“ die Sicht einer 23-jährigen, werdenden Mutter wiedergibt und dieses Schicksal so poetisch wie persönlich schildert, ist große Kunst.
Mary
Aris Fioretos
aus dem Schwedischen übersetzt von Paul Berf
Hanser Verlag, 2016
„Es gab keine klare Zugehörigkeit – na und?“ Aris Fioretos über Identität, Sprache als tragbare Heimat, das Aufwachsen zwischen unterschiedlichen Kulturen – und darüber, was die Marillenmarmelade seiner Großmutter mit all dem zu tun hat. (Mein Interview in der Tageszeitung Die Presse vom 12. Jänner 2016)
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