Das Schaf-Experiment

Haltung oder Rasse – was ist entscheidend? Spitzenköche auf der Suche nach dem besten Lammfleisch. Warum Schaf so unterschiedlich schmecken kann.

Michael Wilhelm zerlegt gerade den Rücken. „Da isch nirgends auch nur ein Tropfen Blut weg gelaufen beim Schneiden“, sagt der Schafzüchter aus Sölden, um seine Erkenntnis zu unterstreichen. Er ist überzeugt: Das Fleisch ändere sich durch die Frischluftkur bei jedem Schaf – egal ob Jura, Zackel oder Merino. Die hochalpine Haltung habe schon in drei Monaten einen Einfluss auf den Geschmack von Lammfleisch. Nicht nur sei die Struktur kompakter, sondern auch das Aroma würziger. Sein Experiment will das beweisen. Die Teilnehmer: Elf Schafe, männlich, kastriert, ein halbes Jahr alt, von unterschiedlichen Züchtern aus Österreich. Diese kleine Herde brachte Wilhelm ins Windachtal, nahe der Segerlandhütte. Das war im Juni des vorigen Jahres.
Mehr als 1000 Schafe sind dort auf 4500 Hektar im Ötztal. „Schafe kommen ja ursprünglich aus dem Gebirge. Sie mögen kühle Temperaturen. Die Kälte tut ihnen nichts“, meint Wilhelm. Im Gegenteil: „Ein Schaf geht instinktiv in den Felsen“, erzählt der Bergbauer. Seine Tiere wanderten bis auf beindruckende 3000 Meter Seehöhe hinauf. Wer sind ihre Feinde in der Wildnis?  – Steinschlag, Adler, Fuchs, Kolkrabe. Und manchmal der Wolf. Insgesamt seien zehn Prozent Ausfall sind bei einer Herde durchaus üblich, meint Wilhelm. Immer wieder kam er in die Berge, um nach seiner Runde Ausschau zu halten. Das Juraschaf brach sich die Schulter, das Steinschaf den Hinterlauf. Und das Walliser Schwarznasenschaf litt an einer Darminfektion. Ende Oktober kamen zehn Jungschafe gesund wieder ins Tal. Das Schwedische Gotlandschaf blieb verschollen. Der Rest verbrachte die Zeit bis zum 10. Februar 2020 gemeinsam in Wilhelms Stall. In der Metzgerei Gstrein in Längenfeld wurden die Tiere dann geschlachtet. Mit gut einem Jahr käme der Eigengeschmack der jeweiligen Rasse am deutlichsten zum Ausdruck, vermutet der Züchter. Er hat sich mit Tuxer Rindern, Yaks und Zackelschafen auf Hochgebirgstierrassen spezialisiert und kann sich so am Markt von der schnelllebigen Fleischproduktion abgrenzen. „Unterm Jahr hätte mein Vater nie ein Lamm geschlachtet. Mindestens ein Jahr alt oder eineinhalb, weibliche Tiere sowieso zwei Jahre“, erinnert er sich.

Welches schmeckt am besten? 
Sechs Tage später brachte der Kühltransporter das Fleisch von Tirol nach Salzburg, nämlich nach Golling zu Andreas Döllerer. Mit ihm hat Wilhelm die Idee für das Geschmacksexperiment entwickelt. Der Hausherr ordnet nun in seiner Küche die Nieren der Lämmer dem richtigen Schopf zu. Wenig später schreiten prüfende Kollegen vom Verein Koch.Campus rund um den Tisch und bewerten das rohe Fleisch nach Faserung, Fettauflage und Farbe. Rücken und Schlögel bereitet der Küchenchef als Tartar und gebraten, ganz ohne Gewürze, zu.
Bei der Blindverkostung wird diskutiert: Wie unterschiedlich schmecken Schafe? Worin unterscheidet sich Lammfleisch? Wie kommen Geschmack, Struktur, Saftigkeit zustande? Entlang dieser Fragen suchen die Köche Qualität für die Spitzengastronomie: „Welche Schafrasse liefert das beste Fleisch?“ – Mit dieser Formulierung ist Wilhelm nicht ganz glücklich. Man würde schließlich auch nicht einfach nur nach der besten Rebsorte fragen, wenn man guten Wein auswähle.

Schafexperiment - 2Es geht es auch um Zeit und Nahrung, die ein Tier bekommt. Rasse und Aufzucht sind nicht voneinander zu trennen. Das eine ist die Weidehaltung im Sommer zum Beispiel wie bei Michael Wilhelm auf der hochalpinen Alm und die Fütterung mit Heu im Stall während des Winters.
Auf der anderen Seite des Spektrums steht die industrielle Fleischproduktion. Sie kennt keine Saison und funktioniert meist mit passend zurechtgezüchteten Rassen wie Texel und Il de France: Diese Schafe können richtige Bodybuilder werden, sind sie doch auf Kurzfristigkeit ausgelegt. Der schnelle Fleischaufbau wird üblicherweise durch das entsprechende Futter gefördert. In von vier Monaten könne so ein Turbo-Booster schon auf seine 40 Kilo kommen, schätzt ein Experte. Die Landwirtschaftskammer berichtet von durchschnittlichen Tageszunahmen zwischen 250 bis 300 Gramm. Was Qualitätslamm sein will, muss bei der Schlachtung weniger als sechs Monate alt sein. So definiert zumindest der Markt den Begriff. Bei der Schlachtung wiegen Bocklämmer etwa 42 Kilogramm und weibliche drei bis fünf Kilogramm weniger. Wie das geht? Mit der fertigen Getreidemischung und Stroh als Rohfaserquelle zur Ausdünnung des proteinreichen Futters. „Ohne spezielle Impfungen, damit sie Eiweiß verdauen können, packen das Leber und Niere nicht“, sagt ein Züchter.
Will der Bauer kein Futter zukaufen, sondern nur seine eigenen Flächen beweiden und im Winter Heu füttern, sollte er zu alte Rassen greifen. Sie sind genügsamer und weniger heikel, insofern günstiger, besonders wenn man biologisch bewirtschaftet und mit weniger eiweißreichen Wiesen auf langsames, gesünderes Wachstum setzt.

Zurück zu Döllerers Genusswelten: So gut kann Landschaftspflege schmecken! – Die Beweidung sichert immerhin die hohe Biodiversität und das ist besonders dort oben wichtig. Robuste und alte Schafrassen schnitten bei der Bewertung sensorisch besser ab. Erstaunt hat das Tiroler Bergschaf: Eigentlich eine Milchrasse, schlug es alle in Sachen Optik und kurz gebraten bei der Blindverkostung. Geschmack ist immer ein persönlicher Eindruck. Letztlich geht es auch um Fragen wie: Zu welchen Bedingungen wollen wir Lamm am Teller? Wie sieht die zukünftige Landwirtschaft auf dem Weg dorthin aus? Wird artgerechte Fütterung wieder zur Norm? Wie viele Monate Lebenszeit gönnen wir dem Tier?

(erschienen in den Salzburger Nachrichten am 7. März 2020)

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