Damit die Trockenwiesen des Wienerwaldes überleben, müssen sie beweidet werden. Zu Besuch bei einem Wanderschäfer
„Seit ein paar Jahren wird da auf Urwald gemacht”, sagt Erich Frank. Er fährt im Geländewagen das Tieftal herauf Richtung Fluxberg und kommt so zur Kernzonengrenze des Naturschutzgebietes Biosphärenpark Wienerwald, dem Naherholungsgebiet der Wiener. Hier darf man zwar gehen, aber der Bereich ist außer (forstwirtschaftliche) Nutzung gestellt, sprich: Wenn ein Baum umfällt, bleibt er einfach liegen. Es ist wichtig, dass man auf manchen Flächen die Natur einfach so machen lässt, wie sie selbst will. Damit gibt man der Biodiversität den nötigen Raum.
Früher war mehr Vielfalt. Da gab es nämlich Magerwiesen und Trockenrasen. Sie sind im speziellen trockenen Klima durch die Beweidung mit Rindern entstanden. Erhalten kann man diese auch nur auf diese Weise, davon ist Frank überzeugt. Er ist der Wanderschäfer vom Wienerwald. Seine Schafe sind die Hüter oder besser gesagt die Revitalisierer der typischen Trockenrasen und mitverantwortlich für eine große, heimische Artenvielfalt.
Die Flächen sind verstreut und auch die Herden. Jedes der kleinen Fleckerl bekommt einmal im Jahr Schafe zu sehen. Momentan stehen zwei Herden auf der Perchtoldsdorfer Heide, eine in Steinfeld bei Wiener Neustadt und eine hier in Pfaffstätten. „Vorgestern bin ich da mit den Schafen hergewandert“, sagt der Landwirt.
„Was wollt’s ihr mit dem halben Hektar?“
„Ich wollte immer Bauer werden, meine Mutter meinte sinngemäß: Vergiss es!“, erzählt Frank. Sie stammt aus der Landwirtschaft im Weinviertel an der Tschechischen Grenze, vererbt wurde an ihren Bruder. Neffe Erich lernte Elektromechaniker für Schwachstrom und macht in der Abendschule den Ingenieur für Maschinenbau. Dann war er viele Jahre Automatisierungstechniker im Außendienst, ist „in der Weltgeschichte herumgefahren“. Hinter seinem Haus im Piestingtaler Wopfing hielten seine Frau und er eine Ziege. Dazu kamen Schafe. Irgendwann beschlossen die beiden: „Probieren wir’s! Entweder den Nebenerwerb zurückschrauben oder ganz Bauern sein.“ Eine Landwirtschaft zu gründen, das sei gar nicht so einfach gewesen, berichtet Frank. Heute wäre es sogar noch schwieriger als damals. Mittlerweile muss man fachliche Ausbildung nachweisen, um eine Betriebsnummer zu bekommen. „Was wollt’s ihr mit dem halben Hektar?“, reagierte die Bauernkammer. Auch von der Bio Austria, die damals noch ,ERNTE für das Leben‘ hieß, kam zwei Jahre lang kein Berater. „Keiner hat uns ernst genommen. Alle wissen anscheinend, wie man aufhört, aber nicht, wie man anfängt. Das war ziemlich zach bis wir überall an Informationen kamen“, erinnert er sich heute.
Seit 1990 gibt es also den Bauernhof, aber im Piestingtaler Wopfing wenig Flächen zur Verfügung. Siebenzehn Jahre später fand Frank im Internet die Doktorarbeit von Norbert Sauberer. Durch sie kam er zum Biosphärenpark, seine Schafe in den Wienerwald. Denn die Biologen wollten die ehemaligen Trockenrasen freilegen. Es wurde gerodet und entbuscht. Dann brauchte es noch jemanden, der das bewirtschaftet. Seitdem pendelt Erich Frank die rund 35 Kilometer von Wopfing zu seinen Flächen in den drei Naturschutzgebieten: Glaslauterriegel, Heferlberg – manche sagen Heberlberg – und Fluxberg. Dort steigen wir aus dem Auto und hören vom Strauch am Waldrand her die Pimpernüsse klappern. Die circa vier Zentimeter großen, hautähnlichen, orange-braunen Blasen wiegen im Wind. Sie sind in der Mitte verwachsen und enden unten in zwei kleinen Zipfeln. Darin rollen kleine Nüsschen, die aussehen wie ungepopptes Popkorn, herum.
Ungeregelmäßigkeit für Spinnen, Zikaden, Heuschrecken
Erich Frank riecht an einem Pflänzchen, das ähnlich aussieht wie die Schafgabe. Den Geruch kennt jeder und doch kommt man nicht drauf. Es ist die wilde Karotte, löst er das Rätsel. Dann deutet er auf den Nadelbaum daneben. „Die Schwarzföhren machen viel Mist mit den Nadel und Bockerl“, erzählt er. Da habe es der Trockenrasen auch schwer. Zumal diese Nadelbäume zusätzlich flachwurzeln und den heiklen Pflänzchen an der Oberfläche Wasser wegnehmen.
Ein Trockenrasen ist keine gleichmäßige Mähwiese. Die Ungeregelmäßigkeit ist wichtig für Spinnen, Zikaden, Heuschrecken. Sie und die seltenen Pflanzen, mit denen sie im Einklang leben, brauchen offene Bodenstellen mit möglichst wenig Streuschicht. Sonst entsteht darunter ein feuchtes, kühleres Kleinklima. Dann bringt der Trockenrasen-Fauna erst recht wieder nichts. Auf der Weide finden sich Pflanzen wie das Federgras, auch Altfrauenhaar genannt. Es verbreitet sich fliegend weiter. Der Samen kann nur fruchtbar sein, wenn er eine offene Stelle zur Erde findet. Bei den kleinen, seltenen Pflänzchen handelt es sich um Spezialisten für kargen Boden zum Beispiel. Andere wiederum sind besonders, weil sie behaarte Blätter einsetzen.
Spezialisten vs. Allerweltsgräser
Die seltenen Pflanzen am Trockenrasen überleben durch spezielle Eigenheiten. Sie können in ihrer Besonderheit gegen die durchsetzungsstarken, anpassungsfähigen „Allerweltsgräser“, die durch die Nährstoffe angezogen werden, nicht an. Diese nehmen den geschützten Arten Licht und Platz.
Selbst, wenn man nicht düngt, kommen aus der Luft Nährstoffe in den Boden, ungefähr 80 Kilo Reinstickstoff pro Hektar und Jahr, meint der Schäfer. Sie lassen vor allem jene Pflanzen rasch wachsen, die die sensible Pflanzengesellschaft verdrängen. „Durch das Mähen entzieht man dem Boden zwar Nährstoffe und bremst diese Entwicklung, allerdings absolut unselektiv und gleichzeitig“, meint der Schäfer. Mit Schafen sei das anders. Die düngen zwar mit ihrem Mist ebenfalls, allerdings macht das weniger aus als was sie an Allerweltsgräsern gefressen haben. Außerdem verbreiten sie die Pflanzensamen zwischen den Klauen, im Fell und in der Ausscheidung.
Was unterscheidet das Schaf noch vom Mähwerk? – Es lässt einzelne Halme stehen, auf denen Insekten vielleicht noch Eier ablegen können. „Wenn man stattdessen oft mäht, kommt eine Blume nie zum Blühen beziehungsweise zum Aussamen. Insgesamt gibt es deswegen nur vier, fünf, vielleicht zehn verschiedene Pflanzen. Zum Vergleich: Hier findet man an manchen Stellen bis zu 120 Pflanzenarten.
„Erhalten durch Aufessen“
Auch das Krainer Steinschaf ist selten geworden. Es gilt als gefährdete Haustierrasse. Insgesamt gibt es 19 weibliche Zuchtlinien und neun Widderlinien. Ihre Samen sind in Wels tiefgekühlt zum Schutz. Nach dem Motto „Erhalten durch Aufessen” von Thomas Strubreiter,dem Obmann der Arche Austria, verkauft Erich Frank sein Lammfleisch, aber das große Geschäft sei mit den Schafen nicht zu machen. „Wenn ich mir ausrechne, wie viel wir mit ihnen herumzigeunern und wie viele Arbeitsstunden da zusammenkommen, dann rechnet sich der Fleischverkauf nicht“, sagt er. Das Lammfleisch im Supermarkt ist meistens von vier Monate alten Tieren, bei Erich Frank werden sie ungefähr ein Jahr alt, bevor er sie schlachten lässt. Der Schlachtbetrieb in der Nähe von Sollenau ist spezialisiert auf Schafe. Für das Frischfleisch können interessierte Kunden circa zwei Wochen vorm Schlachttermin ihre Bestellung abgeben. Mutterschafe leben sieben oder acht Jahre. Dann werden sie zu Wurst oder luftgetrocknetem Schinken.
Eigentlich ist das Krainer Steinschaf eine alte Milchrasse. Jene, die um die zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Süden Österreichs – der Name sagt es schon im Dreiländereck Österreich, Slowenien, Italien – zur Milchproduktion gehalten wurde. Dann hat man das Ostfriesische Milchschaf eingekreuzt und das reinrassige Krainer Steinschaf verdrängt, bis 1988 aus Restbeständen in Slowenien die Rasse gerettet und wieder eine Zucht aufgebaut wurde. „Die Grauen kommen absolut selten vor“, sagt der Schäfer. Er schaut auf der Ohrmarke und identifiziert die Nummer 31 – sie heißt „Schneeweiß“. Die weiblichen bekommen die Anfangsbuchstaben von der Mutter, die Männlichen vom Vater. Die Namen dürfen seine Kinder aussuchen, oft nach Romancharakteren, aber Harry Potter gebe es noch keinen.
Die Rasse ist asaisonal, das heißt, die Muttertiere haben immer wieder einen Eisprung und tragen fünf Monate. „Wir steuern das so, dass die Lämmer ab Anfang Jänner auf die Welt kommen“, erklärt Frank. Seine Schafe kommen ab Dezember ins Winterquartier, nach Ostern werden sie geschoren und Mitte April, Anfang Mai, bringt er sie wieder hinaus.
Kraftfutter erzeugt Hunger.
„Unsere Schafe fressen im Sommer auf der Wiese, im Winter bekommen sie Heu, keine Silage. Denn das sei im Prinzip wie Sauerkraut. „Ich mag Sauerkraut, es schmeckt mir gut, aber bitte nicht jeden Tag“, sagt Frank. Getreide füttert er aus fester Überzeugung nicht, denn: „Wenn ich es selbst esse, habe ich in etwa zehnmal soviel davon wie über den Umweg durch den Tiermagen. Eigentlich ist das arg, dass die Hälfte der weltweiten Getreideernte Futter ist.“ Seine Schlussfolgerung: Man könnte die Welt einfacher ernähren, 67,8 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche auf der Erde seien Grasland. „Wenn wir dort Vieh grasen lassen und das später essen, ist es die sinnvollste Nutzung. Es muss nicht jeder Vegetarier sein und es muss auch nicht jeder jeden Tag Fleisch essen.“ Er gesteht aber auch ein: „Klar, wenn alle so viel Fleisch essen würden, wie die Österreicher, kämen wir mit dem Grasland nicht aus.“
(erschienen in der Wochenzeitung „Falter“ 47/17 vom 21. 11.2017)