Salut, Verjus!

Einst ein wichtiges Würzmittel, wird der Saft aus unreifen Weintrauben neu entdeckt. Für Marinade, Sorbet, als antialkoholischer Spritzer oder im Tonic.

„In kleine goldene Schüsseln tat man, wie es zu jeder Speise geziemte, Salzbrühen, Pfefferbrühen und Agrest. Da hatten sowohl der Bescheidene als auch der Vielfraß alle gleich reichlich“ – mit diesen Versen beginnt Wolfram von Eschenbach um 1200 die Beschreibung der festlichen Tafel von Gralskönig Amfortas im Parzival. Mit Agrest meinte er den Saft unreifer Weintrauben. Dieser galtals Säule der mittelalterlichen Küche und gehörte bis ins 18. Jahrhundert zum Gewürz-Repertoire der Köche.

Etwa 2007 begannen nun die ersten österreichischen Winzer, diesen Saft zu produzieren. Er ist heute bekannt unter dem Begriff, den die Franzosen verwendeten: Verjus – Grünsaft. Die Neigung zu Saurem und Bitteren ist in der ursprünglichen Geschmackserfahrung tief verwurzelt. Vielleicht kommt sie in jüngster Zeit mit dem Trend zum Fermentieren wieder hervor. Eine Renaissance dieses Gewürzes aus dem Weinbau bahnt sich jedenfalls an, soviel steht fest.

Würzt Wacholderdrossel und Wachtel

Der Saft wird durch das Auspressen unreifer grüner Trauben erzeugt und bildete einst eine säuerliche Basis für Saucen und zu gekochtem oder gebratenem Fleisch und Fisch. Oft wurde er mit Eigelb aufgeschlagen wie zum Beispiel im Rezept für „Pasteten, die einer auff einmal kan in das Maul schieben“, zur Konservierung von Rosenknospen verwendet oder als fiebersenkende Hausmedizin. Die heilende Wirkung war überhaupt schon zu Zeiten der griechischen Antike bekannt. Man griff zum „unzeitigen Traubensaft“ bei Entzündungen, bei roter Ruhr und sogar bei Pestgefahr.

Mit dem Reformationszeitalter kam der Aufstieg des Zuckers und der Abstieg der sauren Küche beginnt. Zudem kommen ab Ende des 16. Jahrhunderts Zitronen und Limonen aus Südeuropa auf den Markt, der Verjus geriet in Vergessenheit. Im französischen Périgord und im Bordelais war die Tradition jedoch nie ganz erloschen. Bernard Lafon entwickelte Anfang der 1980er moderne Herstellungsmethoden für Verjus. Am Beginn der Wiederentdeckung steht vordergründig nicht – wie es vielleicht heute scheint – die Haute Cuisine, sondern die Beständigkeit der ländlichen Küche. Lafon erinnerte sich an Gerichte seiner Großmutter zurück: „Die Wahl zwischen Zitrone und Verjus war klar. Für diese Bauern und ihre traditionelle Verbundenheit mit den Produkten ihres Bodens behielt der Verjus seine besondere Stellung. Sie würzten damit die Tourins (Suppen), die Sauce für das Hühnchen, den Kaninchentopf, die Enten und die gebratene Gans. Es gab Wachteln oder Fasan, die uns Freunde oder Nachbarn zum Geschenk machten oder die frisch in der Reuse gefangenen Aale aus unserem Flüsschen Pimpine.“

Für Anna Paradeiser, Biowinzerin in Fels am Wagram, war die sinnvolle Verwendung der ausgedünnten Trauben ausschlaggebend. Anstatt die zur Qualitätssteigerung des Weines frühzeitig abgeschnittenen, unreifen Trauben ungenützt zu lassen, macht sie daraus seit fünf Jahren Verjus. Ihre Variante ist ziemlich einzigartig, denn sie ist aus sogenannten Piwi(pilzwiderstandsfähigen)-Sorten in Weiß und Rot. Diese tragen die lustigen Namen Aron, Suzi, Ferdinand de Leseps, Franziska, Sophie und Pinotin und kommen mit nur einer einzigen Spritzung biologischer Pflanzenschutzmittel aus.

Die Idee zur Verwendung aller Ressourcen stand für den burgenländischen Winzer Franz Weningerhinter der Idee, Verjus zu produzieren. Er begann 2006 damit. Durch die biodynamische Bewirtschaftung fanden die Pflanzen eine natürliche Wachstums-Balance. Das Ausdünnen war dann nicht mehr notwendig. Der Verjus ist dennoch geblieben und kommt jetzt aus einem eigenen Weingarten mit Sankt Laurent Trauben. Die restlichen Trauben, die weiter reifen, werden zu Traubensaft verarbeitet. Auch alle anderen Winzer haben ihre eigenen Weingärten für die Verjus Produktion – meist in möglichst Mehltau-unempfindlichen Lagen, die man weniger spritzen muss.

Verjus-Lese findet etwa Mitte August statt. Die unreifen Trauben sehen dann aus wie grüne Erbsen. Im vergangenen Jahr war es vielerorts schon in der zweiten Juli-Hälfte so weit.„Im Anschluss an die Verjus-Lese war schon der erste Wein dran“, sagt Barbara Öhlzelt.Sie hat 2007 begonnen, dieses Getränk zu erzeugen und erinnert sich noch an Versuche von Gegenbauer und dass der Tiroler Koch Hans Haas im kalifornischen Napa Valley viel Verjus verwendet hätte. Das sei der Anstoß gewesen. Im Probejahr machte sie 500 Flaschen, mittlerweile sind es schon 10.000 Liter – mehr als zehnmal so viel wie die meisten Betriebe hierzulande. Die Medienresonanz und der Großabnehmer Restaurant Steirereck verhalfen Öhlzelt zum Erfolg. Die Winzerin arbeitet konventionell und produziert im großen Stil. Sie erntet mit dem Lesewagen und quetscht darin die Beeren gleich an. Nach dem Pressen wird der Traubensaft geklärt und gefiltert.

Ebenfalls im Kamptal und seit zehn Jahren Verjus-Produzent ist Demeter-Winzer Matthias Hager. „Wir suchten in der Küche der Weinbeisserei einen heimischen Ersatz für die Zitrone“ erzählt er. Bei ihm steht die Sorte nicht im Vordergrund und er entscheidet von Jahr zu Jahr. 2018 wurden es Grüner Veltliner und Zweigelt.

Christian Fischer, Bio-Winzer in der Thermenregion macht mittlerweile 5000 Liter Verjus. „Wegen der notwendigen Vorbereitung bei der Pflanzenschutzbehandlung ist es aber praktikabler, ganze Flächen zu verarbeiten. Die Ernte muss auch schnell voran gehen, damit die Saftmenge zur Pasteurisation zusammenkommt“, erklärt er. Die Reben – Neuburger und Grüner Veltliner – werden acht Wochen vor der Ernte nicht mehr behandelt. Bei ihm gibt es außerdem eine sprudelige Variante, den Verjus Frizz, der als alkoholfreier Frizzante, extra trocken, herb-frisch und traubig-fruchtig, verkauft wird.

Das Weingut Neustifterwagte heuer mit 500 Liter den ersten Versuchmit Grünen Veltliner Trauben. „Wir wollten ein alkoholfreies, weinähnliches Produkt auf den Markt bringen“, sagt Monika Neustifter. Seit April führt die Familie auch das Hotel neben dem Weingut. Dort wird im Restaurant der Verjus zum Ablöschen von Risotto verwendet und dankbar als alkoholfreier Spritzer angenommen. Die unaufdringliche Säure und leicht bittere Note eignet sich hervorragend dazu, Alkohol zu ersetzen.

Verjus in der Küche
Verjus kann Geschmacksbasis für Erfrischungs- und Mixgetränke sein, verfeinert Suppen, Soßen und Eintöpfe, eignet sich zum Einlegen von Gemüse und Früchten, als milder, fruchtiger Essigersatz für Salate – als besonderer Geschmacksgeber, super zum Marinieren von Avocado zum Beispiel, für Ceviche, mit fruchtiger Note für Sorbets, wie beispielsweise das Verjus-Holunder-Sorbet, für das der burgenländische Winzer Günter Finkein Verfahren entwickelte, um seinen Verjus mit Holunderblüten zu versetzen. Josef Salomon wollte einen

Zitronen- und Essigersatz und säuerlichen Saft als Alternative für unsere Kunden. Deswegen erzeugt er seit drei Jahren etwa 120 Liter Verjus aus seinen Grünen Veltliner Trauben. Besonders empfiehlt er ihn für Apfel-Lauch-Salat.

Bei Birgit Wiedersteinsteckt ein ganz anderes Motiv dahinter. Sie braucht den sauren Traubensaft für ihr selbstgemachtes Tonic. Einen Teil der Zitronensäure ersetzt sie damit. „Das ist natürlich eine gute Variante, um auch den Stock zu entlasten – gerade in sehr heißen und trockenen Jahren“, sagt die Winzerin.Sie arbeitet zwar schon seit einiger Zeit biologisch im Weingarten und ist momentan in der Umstellung. 2019 erwartet sie ihren ersten bio-zertifizierten Jahrgang. Sie liebt Verjus im Sommer mit Mineralwasser aufgespritzt oder aufgesprüht auf Früchte, Käse und Salat. Und eben bei Gin Tonic als Säuerung statt der Zitrone.

Fred Loimer entschloss sich 2015, das Portfolio des Weinguts um den Grünsaft zu ergänzen. Vom aktuellen Jahrgang gibt es 2.700 Liter. Er empfiehlt ein Granité mit Verjus: 300 ml Wasser, 350 ml Verjus, 200 g Zucker, 2cl Tresterbrand.
Wasser und Zucker aufkochen, abkühlen lassen; mit Verjus und Tresterbrand vermischen und ins Gefrierfach geben. Alle 30 Minuten mit einer Gabel zerkleinern, die Masse soll grobkörnig sein.

Verjus: So wird er verwendet

Mit kaltem Mineralwasser aufgespritzt und Zitronenmelisse ist er ein erfrischender Durstlöscher, besonders für jene, die antialkoholische Getränke viel zu süß finden. Mit seinem fruchtigen Bukett, ist er milder, runder als Essig und hat die einzigartige Eigenschaft, dass er durch die Metaweinsäure den Eigengeschmack von Speisen nicht überdeckt. Deswegen gerne anstelle von Zitronensaft verwenden, da er eine angenehme Säure und Fruchtigkeit liefert, dabei aber kaum Eigengeschmack entwickelt, sondern durch seinen hohen Anteil an Weinsäure die Geschmacknuancen der übrigen Zutaten stützt.

Geöffnet hält der Verjus im Kühlschrank mehrere Monate. Er kann auch problemlos tiefgekühlt werden, um ihn länger aufzubewahren. Man kann auch Verjus-Eiswürfel machen.

Buchtipps:

  • Viele Rezepte: Verjus. Geschmack der Ewigkeit. Martin Petras und Cécile Schwarzenbach
  • Lob der sauren Trauben (Verjus – Agrest – Agresto) Das Gewürz aus dem Weinberg in der Geschichte der Kochkunst. Elmar M. Lorey

Webtipp: www.verjus-shop.com

Ein Saft mit vielen Nuancen

Bio-Verjus vom Weingut Weninger, Mittelburgenland

Trägt ein kreatives Etikett, aus der Rotweinsorte Sankt Laurent, hat mehr Säure, straffer Zug, Limette und Propolis, aus biodynamischer Landwirtschaft.

Verjus vom Weinviertler Biowinzer Josef Salomon

Vegan, unfiltriert, erdiger Geruch, feuchtes Laub, rustikal, zum Risottokochen und zum Verfeinern von Saucen.

Verjus der Winzerin Birgit Wiederstein, Carnuntum

Leicht exotisch, Ananas, Zitrone, unfiltriert, erfrischend, kräftige Säure als Ersatz für Zitrusfrüchte, biologisch erzeugt.

Verjus PUR, Weingut Christian Fischer, Thermenregion

Saftig, grasig, harmonisch, außerdem gibt es eine sprudelige Variante und in der Eisdiele Harrer in Bad Vöslau davon auch Eiscreme, bio.

Verjus vom Weingut Loimer, Kamptal

Enthält mehr Süße, ist mild und schmeichelnd und hat ein blumiges Aroma durch die Sorte Muskateller, einen Schuss davon in den Tee und oder im Erfrischungsgetränk, aus bio-dynamischer Erzeugung.

Verjus mit Holunderblüten vom Neusiedlersee, Günter Fink

Eine feine Ergänzung durch die zarte Holundernote, riecht wie die weiße Blüte am Strauch, frisch, mit Wasser idealer Sommerdrink, für Desserts und übers Eis, gute Viskosität, bio.

Verjus vom Biohof Paradeiser, Fels am Wagram

Besonders elegant und feingliedrig, vielschichtig durch die unterschiedlichen Sorten, würzig und wunderbar geeignet für Ceviche, Suppen, Sommersalate etc.

Kamptal Verjus aus Zweigelt Trauben von Barbara Öhlzelt & Karl Schwillinsky

leicht rötliche Farbe, fruchtig-blumig, rote Ribisel, zum Abschmecken von dunklen Saucen, sowie für Rindfleisch und zum Beizen von Wild, zu Beeren, aus konventionellen Trauben, nicht bio.

(erschienen im Lebensart Magazin, Sommer 2019)

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