Die Wachau im Gesicht

Im niederösterreichischen Mautern macht man seit kurzem Naturkosmetik aus Rohstoffen, die schon jahrhundertelang auf dem Nikolaihof wachsen: Traubenkerne, Safran und Lindenblüten.

Im Juni ist ihre Zeit gekommen. Da steht sie in voller Blütenpracht. Die Linde im Nikolaihof erlebte heuer ihren 119. Frühling. Sie ist eine sogenannte Kaiserlinde, wurde sie doch zu einem herausragenden Ereignis in Zusammenhang mit dem Kaiser gepflanzt: im Falle der Familie Saahs anläßlich des 60-jährigen Kronjubiläums am 6. Dezember 1908. Aus ein paar ihrer Blüten hat man bis vor drei Jahren nur Tee gekocht. Seit 2014 entfaltet sich die beruhigende Wirkung der Linde auch in Reinigungsgel, Pflegebalsam und Feuchtigkeitscreme.

Kaiserwetter für die Kaiserlinde

Dieses Jahr waren dafür die ersten Junitage interessant. Die Linde blüht nämlich nur in etwa drei Tage lang. Da gehört schon Wetterglück dazu. Wenn es genau in diesem Zeitfenster regnet, gestaltet sich die Ernte schwierig. Heuer stand der Baum am 2. Juni in Vollblüte. Nicht nur die Linde ist kaiserlich, es gab Kaiserwetter. An solchen Sommertagen spenden die weitausladende Äste und die großen Blättern Schatten für den ganzen Gastgarten im Innenhof. Die Linde ist so hoch wie der Turm der hofeigenen Kapelle, also wird für die Ernte eine Hebebühne herangekarrt. Damit geht es zwanzig Meter himmelan. Von oben sieht man wunderbar über Mautern hin bis zum Stift Göttweig. Fleißige Helfer pflücken die klebrigen Blüten in ihre Lesebutten auf dem Buckel. Sie ernten ungefähr 30 bis 35 Kilo Nassgewicht; dann trocknen die Blüten auf dem Dachboden.

Das Hauptprodukt des Nikolaihof ist der seit Jahrzehnten in Demeter-Qualität produzierte Wein; auch Safran baut man hier an. Aus den Lindenblüten, wie auch aus den Traubenschalen oder dem Safran wird jeweils ein Auszug gemacht. „Das kann man sich vorstellen als würde man Grünen Tee kochen“, erklärt Günter Stöffelbauer, der gemeinsam mit Martin Saahs die Kosmetikmarke ,Die Nikolai‘ gegründet hat. „Ist es zu kurz oder zu lang, dann ist die Wirkung eine andere. Mit der richtigen Temperatur und Zeit bleiben die guten Stoffe erhalten und werden nicht im Verarbeitungsprozess zerstört.“

Besonders geeignet sei die Linde bei Hautirritationen und bei Neurodermitis, oder wenn man zu Rötungen neigt und als Aftershave-Balsam, ergänzt Saahs. „Sie nimmt den Stress von der Haut, wie auch der Safran“. Für den Safran-Sahne-Auszug lässt man die Safranfäden anstatt in Wasser im Schlagobers ziehen. Vorher muss man sie freilich erst einmal einsammeln. Auf der Wiese blühen circa drei Wochen lang fünf- bis zehntausend Krokusse. „Vor zwei Jahren kamen wir auf 40 Gramm, letztes Jahr betrug die Jahresernte nur fünf Gramm Trockengewicht“, berichtet die beiden Geschäftsführer. „Gleich nach dem Safran das Mühsamste ist das Traubenschälen für den Traubenschalenauszug“, meint Saahs.

Ausgangspunkt für die ganze Kosmetiklinie, die stetig zu wachsen scheint, war das Traubenkernintensivserum – Traubenkernöl in Reinform. Rohstoffe wie Traubenkerne und Weinstein, der sich in den Holzfässern ablagert, finden schon lange Anwendung in der Naturkosmetik. Die Idee, selbst so etwas zu machen, hatte Martin Saahs als er nach seiner Tourismusausbildung in Tirol und einigen Jahren als Unternehmensberater zurück auf den Hof kam. Den Weinbau am Nikolaihof hatte Bruder Nikolaus übernommen, Schwester Elisabeth führt das Gästehaus. Sie suchten einen Weg, alle hier am Hof zu arbeiten, mit denselben Rohstoffen ohne sich wirtschaftlich in die Quere zu kommen. Die Entscheidung fiel im Herbst 2014. Seinen Geschäftspartner Günter Stöffelbauer kennt Saahs schon seit der Schule. Er hat einige Jahr bei L’Oréal Erfahrung gesammelt.

Trauben- und Holunderkerne im Waldviertel gepresst
„Früher wurde das Traubenkernöl pur angewandt“, erzählt die beiden. ,Die Nikolai‘ bereitet es kosmetisch auf, dazu kommt eine Spur Upgrading mit dem Traubenkernextrakt. Nach dem Pressen für Wein und Traubensaft sind früher die Trester wieder in den Weingarten ausgefahren worden. Jetzt bringt sie Martin Saahs stattdessen in die Ölmühle im Waldviertler Oberwaltenreith. Dort werden die Kerne getrocknet und gepresst. So entsteht das Öl. Was übrigbleibt vom Presskuchen ,wird noch einmal gemahlen zu Traubenkernmehl. Kocht man das mit Wasser aus, erhält man den Extrakt, der besonders viele fettlösliche Antioxidantien, also Stoffe aus der Vitamin-E-Familie beinhaltet. „Sie sind nicht ausschließlich, aber eher wasserlöslich und somit haben wir mit dem Serum das pure Traubenkernöl und die restlichen guten Stoffe aus dem Traubenkern durch den Extrakt herausgelöst“, sagt Stöffelbauer.

Gepresst werden außerdem – und zwar für die Handcreme – sogar Holunderkerne. „Holunder ist eine der am meisten unterschätztesten Pflanzen“, finden die beiden. „Er wächst hier bei uns überall wie Unkraut, aber hat eine super Wirkung auch gegen Erkältung“. Aktuell noch zugekauft werden Mohn- und Haselnussöl, sowie Marillenkernöl. Doch dieses Jahr soll es die erste Testpressung von letzterem geben. „Wir bauen an einer Maschine, um selbst die Kerne zu knacken“, verrät Saahs.

Tränen des Weinstocks
Ab heuer ist auch ein neues Augenprodukt geplant. Der Rohstoff dafür – die Tränen des Weinstocks – wurde am Anfang des Arbeitsjahres gesammelt. An die frisch geschnittenen Reben wurde jeweils eine Flasche gebunden. Sie fängt – bis der Weinstock austreibt – den Rebsaft, also die Tropfen aus der Schnittstelle – auf. Das Rebwasser, auch Aqua Vitis genannt, macht die Haut geschmeidig. Schon Hildegard von Bingen verwendete die Tinktur bei Hauterkrankungen, Ekzemen und sensible Stellen und eben auch für die gereizte Haut rund um die Augen.

All diese Rohstoffe liefert „Die Nikolai“ zur Pflanzenwerkstatt. Dahinter verbirgt sich die Tirolerin Birgit Seyr, eine Chemikerin, die schon lange biologische Kosmetik produziert. „Wir haben jemanden gesucht, der Demeter-zertifizierte Kosmetik herstellt. Es gibt zwar einzelne Produkte, aber nur wenige komplette Linien“, erzählt Saahs. Seyr war bereit, eineinhalb Jahre den Weg zur Zertifizierung zu gehen. Sie richtet sich in Bludenz ein kleines Labor in einem Thoma-Holzhaus ein. Mit ihr gemeinsam findet auch die Produktentwicklung statt.
Palmölfrei
Von Anfang an galt als wichtiges Anliegen bei ,die Nikolai‘, keinerlei exotische Inhaltsstoffe zu verwenden. Das betrifft vor allem die Texturgeber Sheabutter, Erdölderivate und Palmöl. „Die Intention, Erdölprodukte durch Pflanzenprodukte zu ersetzen, um damit Emissionen zu bremsen, gefällt mir eigentlich“, liest man auf der Website von ,die Nikolai‘ zu Palmöl. Dass gerade die inflationäre Nutzung von letzterem katastrophale Folgen für die Natur hat, ist bekannt. Ersetzt man es aber einfach durch andere Pflanzenöle, verlagert man das Umweltprobleme lediglich, zeigt eine Studie des WWF. Sie zeigt ebenfalls auf, dass Palmöl in jedem zweiten in Österreich erhältlichen Supermarktprodukt steckt.

,Die Nikolai‘-Gründer beschäftigen sich für ihre Pflegeprodukten mit Alternativen. Sie sollen naturnahe und mit möglichst kleinem ökologischen Fußabdruck produziert werden können – und eben frei sein von Palmöl, Paraffin, Paraben und Silikon. „Das war eine der größten Herausforderungen. Uns wurde immer wieder gesagt, es werden nicht möglich sein, zum Beispiel auf Sheabutter zu verzichten“, sagt Saahs. Um die regionalen, bio-dynamischen Rohstoffe in Pflegeprodukte zu verwandeln, baut man auf einen Rapsöl-Emulgator. Struktur gibt Bienenwachs. Feste Basisstoffe der Cremen sind Butterschmalz oder Obers. Die Milchprodukte stammen übrigens von einer Demetermolkerei in Bayern. Zwar gäbe es Demeter-Obers auch in Österreich, aber nicht pasteurisiert.

Apropos: Haltbar gemacht werden die Kosmetika mit dem hauseigenen Weingeist. Stöffelbauer räumt auch gleich mit dem Mythos auf, dass Alkohol die Haut austrockne. Man müsse da zwischen Industriealkohol, vergällten und unvergällten Alkohol unterscheiden. Zu Letztem zählt der hauseigene Weingeist. Außerdem sei der Prozentsatz sehr gering. „Bis unsere Creme im Gesicht landet, ist der Alkohol schon verdampft“, sagt er schmunzelnd.

Naturkosmetik: riecht anders, fühlt sich anders an
Natürlich ist die Haltbarkeit von Produkt und Lagerung abhängig. Sie reicht bei Cremen bis zu eineinhalb Jahren, geöffnet zumindest vier bis sechs Monate. Stöffelbauer vergleicht das synthetische Laborprodukt in der Kosmetik gerne mit der Haltbarmilch, die in den 80er Jahren modern gewesen sei. „Beides kann man draußen stehen lassen, es wird nicht schlecht, nicht sauer“, sagt er. „Auf einmal kommt das Naturkosmetikprodukt. Das riecht anders, das fühlt sich anders an, es ist empfindlicher“. Durch die synthetischen Produkte habe sich unsere Empfindung von den natürlichen Stoffen wegentwickelt. Der Trend zum nachhaltigen Leben erfasse aber mehr und mehr auch Produkte, die wir uns ins Gesicht schmieren. „Zum Glück schauen wir genauer hin“, meinen die Männer hinter ,die Nikolai‘. Safran, Weintrauben und Linde sind ja auch wirklich schön anzuschauen.

(erschienen in der Fair-Beilage der Wochenzeitung Falter 39/17 vom 29. September 2017)

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