Josef Weghaupt und Fritz Potocnik standen am Anfang der Waldviertler Bäckerei Joseph Brot. Heute gehen sie getrennte Wege. Ihre Geschichte ist sinnbildlich für die gesamte Bäckerbranche. Es geht um die Grenzen des Wachstums und wie man damit umgehen kann.
Wenn Fritz Potocnik besonders impulsiv wirkt, spricht er wahrscheinlich gerade über jene Sache, für die er sein Leben lang brennt: Brot. Seine prankenhaften Hände bearbeiten einen Teigbatzen, er ist ein kräftiger Mann, mit lautem Organ und Kärntner Dialekt. Dabei stammt er eigentlich aus der Südsteiermark. Gelernt hat er in der traditionsreichen Bäckerei Auer in Graz, dafür hat er vor 45 Jahren seinen Dickschädel durchgesetzt. Seine Eltern hätten in gerne als Chemielaboranten in der Zementfabrik Retznei gesehen.
Säufer, Spinner und Säufer plus Spinner
Damals hieß es: „Bäcker wird nur, wer zu blöd zum Maurer ist.“ Die Arbeitszeiten und die körperliche Belastung in der heißen Backstube sind kein Honiglecken. Bäcker seien vom Naturell her die härtesten Menschen, meint Potocnik. Er unterscheide zwischen drei Arten: Säufer, Spinner und Säufer plus Spinner. Diesen Beruf – jede Nacht aufstehen, bis zu 18 Stunden in der Backhitze – „musst du erst einmal durchstehen“. Er hat in seinem Leben Bäckereiketten beraten, Pleiten und Scheidungen miterlebt, wieder neu angefangen. Und mit dem ersten Bandscheibenvorfall folgte der feste Entschluss: Wenn er einmal 60 ist, dann wolle er leisertreten. Endlich mehr Zeit für die Familie – die jüngste Tochter Naomi war damals noch im Kindergarten. Wissen und Erfahrung weitergeben. „Das ist mir ein Anliegen, sonst habe ich umsonst gelebt“, sagt der mittlerweile tatsächlich 60-Jährige. Aber davor kam es anders. Davor kam Joseph Brot.
Schauplatzwechsel: Landstraßer Hauptstraße 4, Joseph Brot Bistro. Geschäftsführer Josef Weghaupt hat heute seinen wöchentlichen Wien-Tag. Er und Fritz Potocnik kannten sich von einem Großprojekt in einer industriellen Bäckerei, die als Lohnproduzent arbeite. Weghaupt war für Marketing, Vertrieb und Entwicklung zuständig, hatte aber nur Anlagenführer zur Verfügung, die Maschinen bedienen konnten. Für das Know-how holte er sich Potocnik. „Der Fritz weiß einfach, was Handwerk ist, darum war er die richtige Besetzung.“
Die beiden hatten einen ambitionierten Plan: ein Biobrot ohne Backtriebmittel. Schließlich kam der Auftrag von keinem Geringeren als Bio-Pionier Werner Lampert, der „Ja, Natürlich!“ erfunden und für Hofer „Zurück zum Ursprung“-Brot aufbauen sollte. „Wir haben viel gemacht, aber die Forschungs- und Entwicklungsabteilung war zu starr“, sagt Weghaupt.
„Meine Vision war nie, ein Geschäft zu haben, es gab genug Bäckereien, die nicht ausgelastet waren“
Aber mit neuen Gedanken konnte man im industriellen Umfeld nicht umgehen. Der Preisdruck hemmte die Entwicklung. „Den Einkäufern ist es überhaupt nicht um das Produkt gegangen, sondern um die Kalkulation“, sagt er. Weghaupt bereut seine Zeit dort nicht. Er hat viel gelernt, stieg aber im März 2009 aus und wollte sein eigenes Ding starten. „Ich hab keine Idee, wie man eine Backstube betreibt. Bitte setz mir das in der Bäckerei um!“, sagte er zu Potocnik. Er sollte das Sauerteigbrot nur entwickeln und verschiedene Bäcker schulen, die dieses „Joseph Brot“ herstellen. Weghaupt selbst übernahm die Vermarktung und den Verkauf in der Gastronomie, vernetzte in alle Richtungen. Eigene Filialen waren zuerst nicht angedacht. „Meine Vision war nie, ein Geschäft zu haben, es gab genug Bäckereien, die nicht ausgelastet waren“, erklärt er. Bei der heutigen Produktvielfalt glaubt man es kaum: Joseph Brot wollte sich ursprünglich nur auf drei Brote konzentrieren, „aber die so gut, dass sie niemand maschinell kopieren kann“.
Allerdings: Dieser Plan ging nicht auf. Die Zusammenarbeit mit anderen Bäckern klappte nicht, die Kunden verlangten das Original. Also blieb Potocnik in der Backstube. „Du bist ein Anarchist, da mach ich mit“, meint sich Weghaupt an die Reaktion seines Ex-Kompagnons zu erinnern. „Ohne so einen Mitstreiter hätte ich’s nicht geschafft. Er hat mir den Rücken freigehalten“, sagt Weghaupt über ihn. Er selbst erklärt der Gastro einstweilen das Konzept. Vom Waldviertel nach Wien fuhr er täglich 140 Kilometer hin und her. Die Lieferscheine schrieb er noch händisch. Bald kam die erste Erweiterung im Sortiment: Handsemmeln und Ciabatta.
„Mein Bekanntenkreis ist hinter dem Produkt gestanden, denen hat das geschmeckt, aber die Gastronomen sagten: Wennst ma’s billiger machst als der Haubi, kannst liefern.“ Ende 2010 sei er schon streichfähig gewesen, schildert Weghaupt. Er saß auf einer Viertelmillion Euro Schulden. „Das war ein Schrammen an der Leitplanke“, erzählt er. „Irgendwann auf einer Party hab ich’s gecheckt: Ich bin so ein Volltrottel! Ich habe ein Angebot, nämlich gutes Biobrot, aber keine Marke!“ Ihm wird klar: Er muss zum Endkonsumenten, wenn er vom Handel unabhängig sein will. Ein Freund verhalf ihm zum Geschäftslokal in der Naglergasse.
Aus dem Handwerk ist eine Milliardenindustrie geworden
Joseph Brot hatte Glück. Die Zeit war reif, das Geschäft schlug ein wie eine Bombe. Weghaupt sah sich als „Brot-Renaissancier“. Ihm half das Phänomen, das die Trendforscher Harry Gatterer und Hanni Rützler in einer Studie über die Zukunftschancen und Herausforderungen der Brotbranche als „Neo-Inszenierung“ beschreiben. Da geht es um das Meisterhandwerk, Authentizität und um Besonderes im Alltagskonsum. Wie beim Brotbacken selbst ist der Zeitpunkt für eine solche Trendumkehr ein wichtiger Faktor. Der Zeitgeist aufgeklärter, hipper Stadtmenschen verlangte nach Ursprünglichem: Brot ohne Backmischungen, ohne chemische Hilfsmittel, ohne künstliche Vitamine und Enzyme. Als Fritz Potocnik das Backen gelernt hat, gab es das alles sowieso noch nicht, aber innerhalb einer Generation ist aus dem Handwerk eine Milliardenindustrie geworden, die Berge an weggeworfenem Brot produziert. Wenige Bäcker spielen mit, die meisten schließen ihre Backstube. „Die Cashcow der Feinkost sind immer die Semmel, die Extrawust und der Gouda. Das konnte Hofer zum Beispiel nicht frisch anbieten, darum ist die Backbox gekommen“, meint Weghaupt. Denn Menschen würden gerne dort einkaufen, wo es nach frischem Brot riecht, auch wenn es aufgebacken ist. Und der umsatzstärkste Träger ist das Brot.
Von der Aufbackware, wie es sie nicht nur in den Supermärkten gibt, will sich eine neue Generation an Bäckern abheben. In der Branche findet eine Revolution statt. „Der Medienhype der rund um Joseph Brot losgetreten wurde, hat den Bäckern geholfen“, meint Erwin Heftberger, Bäcker und Lehrer an der HTL für Lebensmitteltechnologie – Getreide- und Biotechnologie in Wels.
Gegenentwurf zum schnellen Industrie-Brot
„Ein Öfferl, ein Gragger, der Fritz, Ströck-Feierabend, wir. Wir sind qualitativ hochwertige Bäcker“, sagt Weghaupt. Sie alle stehen für eine positive Entwicklung und für einen Gegenentwurf zum schnellen Industrie-Brot. An der Meisterschule für Müller, Bäcker und Konditoren in Wels gab es schon vor 20 Jahren Seminare über Sauerteige ohne Backtriebmittel, auch wenn die Backmittelindustrie das anfeindete. Manche haben es übernommen, die Genannten wurden zu Stars, wie einzelne Köche und Winzer in Rockstarnähe gerückt. Sie mögen sich in ihren Wegen und Zugängen unterscheiden, doch die Rückbesinnung und das Umdenken eint sie. „Von außen erkennt man nicht, ob ein Bäcker traditionell handwerklich arbeitet oder Vormischungen und Säuerungsmittel verwendet“, sagt Heftberger. Er betont: „Mit einer gewissen Rationalisierung und Automatisierung werden die Teigruhezeiten meist kürzer, damit das Ganze noch wirtschaftlich bleibt.“ Gutes Brot braucht einfach seine Zeit. Für ihn ist Qualität also reine Organisationssache.
„Josef, wo wollen wir hin?“
Weil Josef Weghaupt den Brot-Hype als erstes erkannte, beschreiben ihn viele als Innovator und Revoluzzer. Andere kritisieren, dass er kein gelernter Bäcker sei. „Alles, was er über die Bäckerei weiß, weiß er von mir“, sagt Potocnik über seinen Ex-Kollegen. Gleichzeitig gibt er zu: „Ich habe schon in vielen Betrieben gearbeitet, so einen Hype wie um das Joseph Brot habe ich aber noch nie erlebt, und das lag auch am grandiosen Marketing. Es war ein Wahnsinn, wie sich das entwickelt hat.“
Der Erfolg von Joseph Brot war riesig, das Wachstum rasant. Es überforderte die beiden Unternehmer. 2013 eröffnet die Filiale in der Landstraßer Hauptstraße. Potocnik fragte seinen Geschäftspartner: „Josef, wo wollen wir hin? Wann ist es genug mit dem Wachstum?“ Er erinnert sich zurück: Damals kauften sie eine 30 Quadratmeter große Tiefkühlung und einen neuen Gärunterbrecher für die Teiglagerung, innerhalb eines halben Jahres war beides schon wieder zu klein. Die erste Backstube in Vitis war für sechs Menschen konzipiert. Mittlerweile arbeiteten hier 30. Im Radl, sieben Tage, 24 Stunden lang.
Als größeren Standort schlug Potocnik vor, einen ehemaligen Bauernhof im 30 Minuten entfernten Burgerwiesen umzubauen. „Es gab keine Betriebsanlagengenehmigung“, kommentiert Weghaupt. Er verhandelte stattdessen schon den aktuellen, endgültigen, großen Standort von Joseph Brot in Burgschleinitz bei Eggenburg aus und investierte rund fünf Millionen. Mittlerweile backen 47 Menschen dort sein Bio-Brot. Und es sollen mehr werden. Denn die Manufaktur biete die Kapazität, „mittelfristig zwei bis drei weitere Shops in Wien zu betreiben“, sagt der Geschäftsführer. Nummer vier wurde vor ein paar Monaten mit einem Fokus auf Bagels am Albertinaplatz eingeweiht.
Neue Manufaktur in Burgschleinitz
Diesen Weg wollte Fritz Potocnik nicht mitgehen. „So baut man keine Bäckerei!“, sagt er aufgebracht zum neuen Betriebsstandort von Joseph Brot. Weil in einer acht Meter hohen Halle wie in Burgschleinitz die Thermik all das in luftige Höhen treibe, was man zum Backen braucht: die Mikroorganismen, die Mehl- und Hefepartikel. Sie bilden diese eigene Backstubenatmosphäre, die einen Handwerksbetrieb ausmacht und vom Industriebetrieb unterscheidet. „Das stimmt so nicht“, meint HTL-Lehrbeauftragter Heftberger. Die Backstubenhöhe richte sich nach arbeitsrechtlichen Vorgaben, Abwärme der Gerätschaften, Sauerstoffversorgung und Mitarbeiteranzahl. „Wir haben alle möglichen Keime in der Luft, aber arbeiten zu 99 Prozent mit jenen im Mehl“, sagt Heftberger. Zwischen 50.000 und 100.000 positive und negative Keime steckten in zehn Gramm Mehl. In einem sterilen Raum könne man genauso gutes Brot backen.
Was Potocnik außerdem gegen den Strich ging: Im Neubau von Joseph Brot gäbe es moderne Maschinen nach neuesten Auflagen. Bei ihnen kann man die Teigspannung während des Rührens nicht sehen. „Wie soll ich da einen Naturteig entwickeln?“, fragte er sich. In Potocniks altem Rührwerk, Baujahr 1969, schlägt der Teig Blasen und fängt beim Rühren langsam an, trockener zu werden, glasig. Dann merkt man, wenn er bereit ist, geformt und gebacken zu werden. Diese alten Maschinen akzeptieren die Kontrolleure noch. Andererseits gibt es sehr wohl auch neue Maschinen mit Sichtfenster oder Plexiglasdeckel. Was der Qualität tatsächlich abträglich ist, seien Hochleistungskneter, erklärt Heftberger, denn das langsame, lange Mischen sei extrem wichtig für die Wasseraufnahme des Klebers und die ideale Teigstruktur.
Unterschiedliche Sichtweisen, sture Waldviertler
Der Neubau von Weghaupt in Burgschleinitz ist auf der Website als „die architektonische Verneigung vor der Natur“ beschrieben. „Ich möchte, dass meine Mitarbeiter den Sonnenaufgang erleben, und sehen, wenn es draußen regnet“, sagt er, „wir müssen auch ein Arbeitsumfeld bieten, wo man den Beruf gerne ausübt.“ Da scheint er aus der Erfahrung gelernt zu haben. Ehemalige Mitarbeiter erzählen von katastrophalen Bedingungen in den Jahren davor. Potocnik versteht nicht, wie die Joseph-Brot-Manufaktur für ihren Betriebsstandort fruchtbares Land verschwendet hat, gerade im Waldviertel, wo es so viele leerstehende Gebäude gibt. „Ich hätte niemals eine Halle in einen Acker hineingebaut. Wenn wir alles zubetoniert haben, wo sollen wir unser Getreide anbauen?“
„Ich bin ein Fundi!“
Im Sommer 2016 verabschiedete sich Potocnik von der Bio Troad, der GmbH, die hinter Joseph Brot steckt und nahm seinen Lebensplan wieder auf: ein paar Workshops und Bäckerausbildungen, fünf Beratungen pro Jahr. Mehr Zeit für die Familie.
Doch wieder wurde nichts aus dieser Idee. Mitte September kamen ein paar seiner Ex-Kollegen von der Joseph-Brot-Manufaktur und baten ihn, ihr Lehrmeister zu sein. Also bäckt er weiter, wie vor 45 Jahren – erstmals mit eigener Bäckerei unter dem Namen „Brotocnik“. Mittlerweile arbeiten acht Leute bei ihm in der Backstube am ehemaligen Bauernhof in Burgerwiesen, zum Beispiel der fleißige Florian, in dessen Ehrgeiz sich der Bäcker selbst erkennen will und neuerdings auch Sohn Nico, der doch noch in Papas Fußstapfen zu treten scheint.
Auch wenn der „Zulauf sensationell“ sei, sei auch für ihn das Wachstum endlich, betont Potocnik. „Wir werden unsere Halle umbauen für ein Produktionsvolumen, das für uns alle verträglich ist. Zur Joseph-Zeit hätten hier 22 Bäcker gearbeitet, Brotocnik will höchstens 16 Leute beschäftigen. An Begeisterung für sein Handwerk hat der Bäcker nichts eingebüßt. „Ich bin ein Fundi!“, sagt er.
(erschienen im Falter 49/17 am 5. Dezember 2017)