Abstrakte Kunst braucht kein Fleisch

Mit der Wertschätzung für gute Lebensmittel kam es mir unlängst vor wie mit abstrakter Kunst. Nur die wenigsten finden den Weg dorthin. Eine kleine Elite zerbricht sich den Kopf darüber. Manche Bauern rackern wie (Lebens)künstler – Idealisten, die sich einer Sache verschworen haben.

Vergangenen Dienstag habe ich abstrakte Kunst gegessen. Schätze wie diese, gekocht von Spitzenköchen aus dem Pongau, dem Schwarzwald, aus Finnland und der Steiermark. Paul Ivic und Christian Halper haben sie in ihrem Tian versammelt. Unter dem Titel „Tian Food Evolution“ luden sie am Vormittag zu einer Diskussion, am Abend zum Genuß.

Ziel der ambitionierten Tafelrunde: Monokulturen im Kopf einreißen. „Wir haben so viel Informationen zum Thema Essen, aber teilweise sind es die falschen“, sagte Paul Ivić. Das Podium ist sich einig: Man will eine Haltungsänderung bewirken. In der breiten Masse. Und nicht nur im eigenen Sud kochen. Sie seien sich ihrer Verantwortung als Köche bewusst. Vielfalt wünschen sie sich nicht nur am Teller, sondern auch in unserer Gesellschaft. Und im Pflanzenreich, das beweisen die Köche dann beim Dinner.

Acht offizielle Gänge aus dem Tian-Team (die schönste Grüntöne ever, der unterschätzte Nackthafer und eine Don’t Call Me Donut-Konstruktion von Patissier Thomas Scheiblhofer, der damit hier den Hyperrealismus vertritt) gemeinsam mit fünf Gastköchen (Jörg Sackmann machte uns mit dem Eisenkraut vertraut, Sepp Schellhorn bleibt angenehm bodenständig in the name of Sellerie – Tortellini, geschmort und als Glacé, Dieter Koschina spielt Trüffel-Trumpf, Richard Rauch hätte lieber Sauschädl auf Holzkohle gemacht, aber der bittere Radicchio passt eh besser zu Apfel und Roter Rübe und Filip Langhoff und seine Frau Linda Stenman-Langhoff  haben Waldpilz aus Finnland mit)

Jetzt stellt sich nur noch die Frage: Wie übersetzen wir das für außerhalb der Bubble? Wie verstehen das jene, die Schweinsripperl um 3 Euro 75 kaufen, und billiges Brot, das man halt wegwirft, wenn es zu schnell hart wird? Wie bringen wir die Gedanken in die (Landwirtschafts)schulen und in die Kindergartenküchen? Wie werden die Medikamente im Fleisch und die Gifte im Boden wieder weniger?

Der Informationsüberfluss verwirrt. Er wirkt vielfältig und komplex wie die Speisen(folge). Wie abstrakte Kunst inspirieren sie und erwecken Geschmackserinnerungen. Schwarzer Rettich – daraus hat die Oma doch Hustensaft gemacht! Das muss die Bittergurke sein und Quendel ist also wilder Thymian. Aber seht selbst….

PS: Die Getränke waren wunderbar abgestimmt, die Sommeliers top-informiert. Besonders viele Assoziationen weckte der Gemischte Satz aus dem Elsass bei uns am Tisch: 2014, La Jardin La Haut von Hausherr. Ich fühlte mich gleich zum sommerlichen Ringelblumensammeln zurückgebeamt. 2014 blieb es mit Malvazija aus Slowenien (Klinec). Rote gab’s von Christian Tschida (als einziger nicht bio oder biodyn?) und aus Rioja und außerdem einen vulkansteinsauerrahmigen, klassen, komplexen Steirischen Weißweincuvée (Ex Vero 1 von Werlitsch). Bei Cider (französisch, gerbstoffig, ledrig, gut) und Pet Nat – beide aus Frankreich – könnte man sich seit drei, vier Jahren auch schon an österreichische Varianten trauen.

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