Elisabeth Oberzaucher ist Verhaltensbiologin. Ihre Forschungsergebnisse bringt sie auf witzige Art in die Öffentlichkeit. So wurde mit dem Satirepreis Ig Nobel 2015 für „Zeugte der Scheich von Marokko tatsächlich 888 Söhne?” ausgezeichnet. Ihr erster TV-Auftritt sei ein Sprung ins kalte Wasser gewesen, sagt sie im Gespräch über Wissenskommunikation. Mittlerweile tritt sie bei den „Science Busters“ souverän zu heiklen Themen wie Partnerwahl und Sex auf.
Sie haben sich von der erfolgreichen Forscherin zusätzlich zur Wissenschaftskommunikatorin entwickelt. Wie kam es dazu?
Was ich lerne, gebe ich gerne weiter – inneruniversitär und außerhalb. Meine Themen aus der Verhaltensforschung stoßen oft auf mediales Interesse. Im Biologiestudium gibt es eine starke idealistische Motivation, die Welt besser zu machen. Zum Bespiel dadurch: Wenn Leute wissen, wie Dinge funktionieren – Ursachen und Wechselwirkungen – können sie sinnvolle Entscheidungen treffen.
Wo liegt der Unterschied zwischen der Kommunikation mit Studierenden oder Kollegen und Laien?
Als Wissenschaftler spricht man mindestens drei unterschiedliche Sprachen: Mit Fachkollegen, mit anderen Disziplinen und außerhalb der Forschungswelt. Mit Fachkollegen kommunizieren wir sehr verkürzt, fast wie Stenografie. Einzelne Begriffen stehen für ganze Bücher. Das ist effizient, funktioniert aber nur im Kreis der Eingeweihten. Der erste Schritt da heraus war ein wissenschaftlicher. Die Verhaltensforschung am Menschen ist ein kleines Gebiet und steht zwischen den Disziplinen. Es gibt u.a. Berührungspunkte zur Psychologie, Biologie und zu den Computerwissenschaften. Wenn man interdisziplinär arbeitet, lernt man: nichts voraussetzen, aufpassen, wie man mit der Sprache umgeht, immer klar sagen, was man meint und nachfragen, ob man verstanden wurde.
Ähnlich wie im Wissenschaftsjournalismus, nur, dass man da nicht so rasch nachfragen kann. Ein Vorteil der Online-Kommunikation?
Wir kommunizieren nie in eine Richtung, wie es in den klassischen Massenmedien funktioniert. Es geht immer um kommunizierende Gefäße. In der ursprünglichen Form der Kommunikation laufen Signale gleichzeitig hin und her. Feedback kontrolliert den Prozess. Es drückt aus: Ich höre dir zu, deine Botschaft kommt an, ich habe verstanden.
Das wird einem in den sozialen Medien zumindest suggeriert. Sind sie deswegen so erfolgreich?
Das macht sie verführerisch, allerdings ist das Feedback stark eingeschränkt, wie die Kommunikationsform insgesamt. Darin liegt auch eine Chance. Twitter ist durch die Zeicheneinschränkung Übung zugleich, für Wissenschaftler und Journalisten. Auf den Punkt zu kommunizieren, finde ich super, andererseits bleibt kein Raum für Nuancen. Das merkt man, wenn Konversationen durch Missverständnisse aus dem Ruder geraten. Kommunikation beinhaltet viele nonverbale Feinheiten. Schimpansen haben dafür zum Beispiel das Spielgesicht. Es sieht aus wie unser Lächeln und symbolisiert: Ich schupse dich, aber das ist nicht bösgemeint.
Wie das Zwinkeremoji?
Genau. Das kommt nicht von ungefähr, dass wie die Emojis entwickelt haben und es zum Wort des Jahres gekürt wurde. Wir haben sie in der digitalen Kommunikation so bitter nötig, weil Worte nicht genügen, um differenzierte Aussagen zu transportieren. Ob die Emojis uns auf lange Sicht ausreichend sind, weiß ich nicht.
Wie gehen Sie selbst mit Social Media um?
Diskussionen in den Sozialen Medien empfinde ich als wahnsinnig mühsam. Das Hin- und Herschreiben ist eine holprige, tollpatschige Weise, miteinander zu kommunizieren.
Unlängst habe ich meinen Instinkten widersprochen, nämlich als Cordelia Fine für ihr Buch „Testosterone Rex: Unmaking the Myths of Our Gendered Minds“ den Wissenschaftsbuchpreis der Royal Society bekam. Das sorgte für extremen Aufruhr. Männliche Kollegen sind über das Buch hergefallen und meinten, Fine würde die Biologie leugnen. Ich habe ihr Buch noch nicht fertig gelesen, aber in den ersten 50 Seiten wurde lediglich betont, dass nicht einzig die Biologie unser Verhalten bestimmt.
„Beim Thema Geschlechterunterschiede gibt es oft verkürzte Geschichten. Diese Venus-und-Mars-Bücher sind Gassenhauer“
Was störte Sie an der Reaktion?
Beim Thema Geschlechterunterschiede gibt es oft verkürzte Geschichten. Diese Venus-und-Mars-Bücher sind Gassenhauer, aber das darin kolportierte Schwarz-Weiß-Denken ist wissenschaftlich nicht vertretbar. Wir sind in allererster Linie Mitglieder derselben Spezies und passen meist nicht eindeutig in irgendeine Schublade. Ich fand die differenzierte Sprache erfrischend. Weil ich das so kommentiert habe, bin ich innerhalb von Minuten in den sozialen Netzwerken als Biologie- und Evolutionsleugnerin gekreuzigt worden. Ich, als Biologin!
Warum ist es so wichtig, dass Wissenschaft kommuniziert wird?
Es ist nicht neu, dass Wissenschaftler sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Kipphardts Roman „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ oder Dürrenmatts’ „Die Physiker“ setzen sich damit auseinander. Aktuell fällt mir der Ökonomienobelpreis ein, mit dem Nudging, das Thaler erforscht. Wer weiß wie Menschen ticken, kann sie auch manipulieren. Forscher schaffen keine absoluten Wahrheiten, aber die Methoden stellen wissenschaftliche Erkenntnisse auf stabilere Basis als das Bauchgefühl des Otto-Normalverbrauchers. Wissen ist die beste Waffe gegen Fake News und Alternative Fakten.
Nach dem Science Busters-Motto „Wer nichts weiß, muss glauben“. Ist die Kommunikation insofern Teil der Jobbeschreibung?
Es ist nicht die Pflicht von Forschern, die Öffentlichkeit zu suchen. Sie müssen kreative Ideen entwickeln, ihre Methoden perfekt beherrschen, Drittmittel einwerben, gute Lehre machen und publizieren wie Druckmaschinen – die eierlegende Wollmilchsau. Obendrauf unterhaltsam und gut verständlich vermitteln? Wenn es jemandem liegt, dann soll er oder sie es tun. Diese Brückenfunktion als Beitrag des Wissenschaftlerdaseins sollte im Wissenschaftsbetrieb als Leistung anerkannt werden.
„eine Live-Sendung! Ich bin natürlich gestorben, aber habe es irgendwie hingekriegt.“
Was haben Sie aus ihrer Zusammenarbeit mit Journalisten gelernt?
Wenn man einmal mit dem Fahrrad gestürzt ist, gibt man nicht auf, sondern probiert es weiter. Die eine und andere Sache hätte ich mir erspart, wenn ich nicht jung und dumm gewesen wäre… Mein erster Fernsehauftritt war ein Sprung ins kalte Wasser: Nachmittagsfernsehen, das damals noch „Willkommen Österreich“ hieß, eine Live-Sendung! Ich bin natürlich gestorben, aber habe es irgendwie hingekriegt.
Sie hatten eine Gastprofessur in Ulm inne. Läuft Wissenschaftskommunikation außerhalb Österreichs anders? Im UK passiert viel Nachahmenswertes, das in der Community geschätzt wird. Standup Comedy und Science Slams sind Standard. Science Busters sind hierzulande eine Ausnahmeerscheinung, aber in der jüngeren Generation tut sich was.
Wie beschreiben Sie ihren Medienkonsum?
Internetbasiert und nebenbei. Ich versuche den internationalen Blick auf die Dinge zu haben, lese deutsche, britische und amerikanische Medien, um möglichst wenig Bias zu entwickeln. Beim Lesen kann ich das Tempo selbst bestimmen, mir Wichtiges herauspicken. Fernschauen geht mir zu langsam.
Für Journalisten geht es immer auch um die Bebilderung. Ist das schon zu allen Forschern durchgedrungen?
Ich vermittle meinen Studierenden: Macht Fotos, um eure Forschung zu dokumentieren und Bildmaterial zu haben. Wissenschaftskommunikation sollte einen breiteren Raum haben in der Ausbildung.
Verpflichtend in Curricula?
Das wäre schön. Im Biologiestudium übt man Vortrag und Poster für einen Kongress, aber bleibt in der Wissenschaftsblase. Peter Iwaniewicz gestaltet in seinem Kurs ein Magazin, in dem Studierende sogar Jane Goodall interviewen. Das geht in Richtung Wissenschaftsjournalismus.
Wenn Forscher bloggen, twittern, Videos erstellen, sind sie dann Konkurrenz für Wissenschaftsjournalisten?
Wissenschaftler machen das nebenbei. Außerdem gilt: Schuster bleib’ bei deinen Leisten! Journalisten recherchieren ein Thema und bilden sich ein breites Wissen mit Experten. Ihre Stärke ist: Sie sind nicht drinnen im Geschäft und damit blind für andere Sichtweisen. Sie können unvoreingenommen unterschiedliche Positionen sammeln und bewerten, ein Forscher nicht. Die Rolle der Wissenschaftsjournalisten ist unersetzlich.
(erschienen im Fachmagazin „Der Österreichische Journalist 10-11/2017)