Mit dem Rhabarber fängt alles an. Das Erntejahr bei der Familie Lugmayr und sogar einst ihr Dasein als Biobauern.
Tulpen leuchten feinsäuberlich gepflanzt im Rabatl vor dem adretten Bürgerhaus am Dorfplatz. Im Innenhof freut sich Hund Aron über Besuch. Hier wohnt die Familie Lugmayr. Vater, Mutter und Sohn betreiben in Breitstetten – wie auch der Onkel und viele andere im niederösterreichischen Marchfeld – Gemüseanbau. Früher gab es zusätzlich auch 15 Mastrinder und 100 Schweine am Hof.
„Mein Vater war aus Oberösterreich“, erzählt Johann Lugmayr. „Er hat gesagt: ,Das ist doch ein Blödsinn, dass wir hier nur Viehwirtschaft haben, wo man doch alles andere auch anbauen kann.“ Er war einer der ersten, der in der Ortschaft auf Gemüseanbau umgestellt hat.
Am 1. Mai 1996 setzte der Sohn zum Gemüse – Spinat, Karotten, Fisolen, Erbsen, Zwiebel – seinen ersten Rhabarber. Als Nischenprodukt in Österreich verlangte der Markt Bio-Qualität. So auch der Großhandel, der damals auf der Suche nach einem Produzenten an ihn herangetreten war. „Wobei: Es gibt fast keinen konventionellen Rhabarber in Österreich, ich kenne jedenfalls keinen“, meint er. Wenn überhaupt, dann sei er meistens aus Holland.
Zählt zum Gemüse, gilt als Frucht
Mittlerweile werden Jungpflanzen übrigens schon Anfang März ausgesetzt, nur im ersten Jahr sei das eine „Hauruck-Aktion“ gewesen. Damals hatten sie außerdem drei Sorten probiert. ,Sutton‘ stellte sich als optimale für Region, Klima und Vermarktung heraus. Der Rhabarber ist die einzige Dauerkultur am Betrieb, alles andere säen sie Jahr für Jahr aufs Neue. Was ihn sonst noch unterscheidet ist natürlich, dass Rhabarber das einzige Gemüse ist, das so vermarktet wird wie Obst. Er ist neben dem Buchweizen das bekannteste Knöterichgewächs auf unserem Teller, aber dazu später.
„Die Häuser hier sind alle nur 30 Meter breit und gehen weit nach hinten bis zu den Feldern“, sagt Lugmayr. Überquert man den Innenhof, kommt man zu den großen Lagerhallen und dahinter sind auch schon die Rhabarberstauden. Marchfelder Flachland bis zur Donau, bei den Bergen am Horizont ist schon Bratislava.
„Wenn alles passt, wächst der Rhabarber bis zu zwei Zentimeter pro Tag“, sagt Lugmayr. Im Hausgarten sind viele Leute verwundert, wie groß die Pflanze werden kann. Der Bauer empfiehlt deswegen genug Platz – mindestens einen Quadratmeter – an einem feuchten, halbschattigen Standort. Bei Sonne sollte man jeden Tag gießen, weil die große Blattmasse viel Wasser braucht. Und ein tiefgründiger, nährstoffreicher Boden ist natürlich wichtig. Am besten mischt man im Sommer Kompost ins Erdreich.
Rhabarber von Ende Februar bis Ende Juni
Zur Erntezeit, wenn die Stauden einen Meter hoch sind, arbeiten am Acker mindestens zehn Mitarbeiter. Sie schneiden die Stängel ab und trennen sie von den Blättern, die zwischen den Pflanzen – und nicht in der Zeile – zu liegen kommen, damit hier das Beikraut keine Sonne zum Wachsen hat. Circa halb so viele Personen sortieren, wiegen ein und etikettieren. Die Lieferung übernimmt ein Logistikunternehmen. Über einen Zwischenhändler vermittelt, reist der Rhabarber in den Supermarkt. Außer den Lugmayrs gibt es übrigens nicht viele andere Rhabarberbauern in den österreichischen Märkten.
Mit dem zweiten Rhabarberbauern, dem Groß- und Einzelhändler von Biofeld, Hannes Holler in Tattendorf, arbeitet Lugmayr zusammen. Dieser hat sich nämlich auf eine frühe Sorte spezialisiert, den Früh- oder Winterrhabarber. In England als ,Forced Rhubarb‘ bekannt, wächst er in Treibhäusern beim in der Dunkelheit. Eine Bodenheizung hält die Temperatur konstant auf 15 Grad. Von Hollers Eltern hat Johann Lugmayr damals auch die ersten Pflanzen bekommen, 1996. Die beiden stimmen sich ab, „damit sie kontinuierliche Verfügbarkeit für die Konsumenten zusammenbringen“. Hannes Hollers Frührhabarber gibt es heuer seit Ende Februar. „Jetzt nach Ostern übernehmen wir dann. Wäre ja blöd, wenn wir uns gegenseitig den Kopf einhauen“, sagt Lugmayr. So hat jeder seine Nische in der Nische.
Barbarischer Knöterich des Frühsommers
Der Rhabarber ist ziemlich anspruchsvoll. „Anfangen tut das schon im Winter. Er braucht einen Frostreiz“, damit er weiß, dass die kalte Jahreszeit vorbei ist und er austreiben kann. Zwar wächst er auch ohne den Kälteschock, aber weniger üppig, denn ursprünglich kommt Rhabarber aus dem Himalajagebiet. In China galt er schon vor 4000 Jahren als Heilmittel. Der botanische Name ,rheu barbarum‘ bedeutet ,fremdländische Wurzel‘.
„Am besten ist eben ein kalter Winter und dann soll’s schnell warm werden“, sagt Johann Lugmayr. Wie heuer eigentlich. Ein perfektes Rhabarberjahr!
Durch den Frostreiz könnte es vor allem bei jungen, frisch gesetzten Pflanzen passieren, dass sie von der vegetativen Phase in die generative kommen und einen Blütenstamm produzieren. „Wir vermehren aber nur vegetativ durch Wurzelstockteilung aus eigenem Material. Also brechen wir die Blüte am Feld weg, weil sie dem Stock unnötig Kraft kostet.“ Wenn es zu wenig regnet, muss gegossen werden, doch erst nach der Ernte, damit die Stängel nicht erdig werden. Der Rhabarber wurzelt aber ohnehin recht tief. Er greift mit den Wurzeln mindestens einen halben Meter. Deswegen schafft er es im Frühjahr ohne Beregnung.
Schon am Anfang der Saison, also vor der Ernte lockert man den Boden ein bis zweimal. „Die Beikräuter entfernen wir entweder mit der Hand oder mit maschinellen Hacksystemen. Wir haben Fingerhacken, ein Stockräumgerät und Kultivatoren.“ Auf Kunstdünger und Herbizide verzichtet der Biobauer naturgemäß. Nach der Ernte düngen die Lugmayrs mit Mist aus den umliegenden Reitställen. Die Rhabarberpflanze soll Kräfte sammeln und die Wurzeln gut ausbilden für das kommende Jahr.
Acht bis neun Jahre lang steht die Pflanze am Feld, dann sollte sie verjüngt und versetzt werden. Im dritten Jahr kann man voll ernten. Je älter, desto dünner die Stängel. Deswegen kommen die jungen Kulturen am Anfang der Saison dran, bevor sie zu stark werden. Die Ware soll schließlich möglichst gleich sein, wird sie doch halbkiloweise verpackt. Außerdem soll die Saison so lange wie möglich dauern. Für heuer ist eine Ernte bis zum Johannistag, am 24. Juni geplant. „Wir möchten einen zarten, nicht zu kleinen, aber auch nicht zu großen Stängel an den Kunden bringen.“
Erfrischend sauer und kalorienarm. Polarisierend im Geschmack
Mit dem Geschmack ist das so eine Sache. Der Rhabarber ist nicht Everybody’s Darling. „Als wir angefangen haben, gab es drei Arten von Reaktionen“, erzählt Johann Lugmayr. Die Haltung zum Rhabarber reicht von „Pfui, Kindheitstrauma“ über „Hey-super-neugierig“ bis hin zu „ich brauche ihn nicht dauernd, aber esse ihn sehr gerne in der Saison“. Da hat jeder sein eigenes Lieblingsrezept. Als Chutney, als Eis oder als Sirup in Sommergetränken, im Smoothie oder im Milchreis, sogar in den Buchteln oder karamellisiert auf dem Salat. Die Lugmayrs sind sich einig: „Wir sagen überall, dass uns der Streuselkuchen von der Oma mit Rhabarber am besten schmeckt!“.
(erschienen in der Mai-Ausgabe des Lebensart Magazin)