Thomas Kaissl (WWF): „Der Kapitalmarkt im Umweltkontext ist ein mörderischer Hebel“

Kann die Digitalisierung ein Bumerang sein? Etwas vermeintlich Gutes, das erst Jahre später seine wahren Auswirkungen auf die Umwelt zeigt? Durch die Digitalisierung können wir vieles auf die virtuelle Ebene verlagern, andererseits kommt auch sie nicht ohne Konfliktmaterialen aus“, sagt Thomas Kaissl vom WWF Österreich im Gespräch über Umwelt und Innovation.

Wie nichts anderes verändert die Digitalisierung alle unsere Lebensbereiche. Wie wirkt sie auf den Naturschutz-Bereich ein?
Die Digitalisierung ist nicht nur ein Segen, aber aus ökologischer Sicht ist vor allem die Dematerialisierung, die mit ihr einhergeht, positiv. Wir brauchen weniger Ressourcen und können vieles auf die virtuelle Ebene verlagern. Das verringert unseren ökologischen Fußabdruck.

In welchen Bereichen kann man schon eine Trendumkehr sehen?
Die Informationszugänglichkeit hat sich verbessert. Wir können einfacher Einblick gewinnen, was Inhaltsstoffe und Herkunft anbelangt, Bio-Lokale auf einen Blick erfassen, Aktionismus und Petitionen gestalten. Das Tool Smartphone als zentrales Objekt der Digitalisierung ermöglicht wahnsinnig viel und ist ein Gewinn für die Ökologie.

Und die negativen Seite?
Die Down-Site ergibt sich dadurch, dass die Digitalisierung selbst Materialien benötigt: seltene Erden zum Beispiel oder die Energie für die Rechenleistungen. In der Ökologie bedeutet ,Rebound‘, wenn etwas vermeintlich gut ist, aber wie ein Bumerang zeitverzögert negative Auswirkungen an die Oberfläche kommen.

Welche Materialien betrifft das besonders?
Der Klassiker ist das Cobalt, das zum Beispiel in den Minen im Kongo gewonnen ist. Natürlich ist ein komplett umweltfreundliches Handy illusorisch, aber die Hersteller des Fairphones bemühen sich, ein Smartphones fair-trade-mäßig zu zertifizieren und deswegen stellen wir beim WWF auch unsere Firmenhandys gerade auf Fairphones von T-Mobile um. Bei anderen digitalen Geräten – fairen Laptops etc. – wäre da übrigens noch eine Marktlücke.

Ein Handy ist eben kein Natur-, sondern ein äußerst ressourcenintensives Produkt mit Konfliktmineralien, die die Spitze des Eisberges sind, aber ohne diese heiklen Ressourcen kommt die Digitalisierung nicht aus. Selbiges gilt für auch für andere grüne Alternativen wie Windräder oder Elektroautos: super Entwicklungen, aber bei der Technik dahin muss man genau schauen, wie die Materialen gewonnen werden.

Digitalisierung ist ohne Aluminium (noch) unvorstellbar.
Genau, zwar kann man es unendlich recyclen, aber die Bauxit-Gewinnung ist ein großes Thema. Und dazu muss man gar nicht in die Ferne schweifen. Auch in Ungarn gab es eine Rotschlamm-Katastrophe, den Kolontár-Dammbruch.

Ist der Technik-Bereich jener, wo sich in Bezug auf Nachhaltigkeit und Innovation am meisten tut?
Ja, gefühlsmäßig ist es die IT, aber auch im Energiebereich passiert viel. Immer wieder sehen sich österreichische Politiker den Start-up-Hotspot Israel an. Dort wiederum zeigt man sich recht beeindruckt über unsere Entwicklung bei Erneuerbaren Energien. Scheinbar sind wir in Österreich da recht gut unterwegs, mit dem insgesamt relativ hohen Anteil an Erneuerbaren – wobei es uns als WWF noch immer viel zu wenig ist – oder international renommierten Institutionen wie dem Europäischen Zentrum für erneuerbare Energie in Güssing oder nicht zuletzt auch Arnold Schwarzenegger als weltweit bekannter Botschafter für mehr Klimaschutz.

Wo sehen Sie noch viel Spielraum für Innovationen?
Im Finanzsektor ist in Punkto Öko noch viel Raum für Neuerungen. Beim Einkauf von Lebensmitteln und Kleidung machen sich die Leute Gedanken über Herkunft und Produktion. Wo ich mein Geld veranlage, was damit geschieht und was damit gefördert wird, ist nicht im Bewusstsein angelangt. Du kannst der volle LOHAS-Typ sein, nicht herumfliegen, nur Bio-Qualität einkaufen und dann landet dein Geld in der Erzeugung von chemischen Spritzmitteln, Kinderarbeit und Nuklearfirmen.

Da ist der Innovationsgrad mit der Digitalisierung als Tool, sehr groß. Ähnlich wie beim Kühlschrank könnte es einen Energieausweis für Finanzprodukte geben. Der Kapitalmarkt im Umweltkontext ist ein mörderischer Hebel, wahnsinnig relevant und noch unterschätzt.

Schließlich will auch die Energiewende finanziert werden. Banken und Versicherungen könnten da eine eigene Startup-Challenge für Crowdfunding, Green Bond, Bewusstseinsbildung, Financial Literacy aufstellen.

Apropos Startup-Challenge: Jene, die etwas für den Umweltschutz tun, werden zwar gerne gelobt, aber wie steht es wirklich um die Finanzierung und Anerkennung?
Es ist schade, dass man Preise, Awards, Wettbewerbe, TV-Sendungen nicht stärker in den Nachhaltigkeits-Kontext rückt. Bei so vielen neuen Produkten geht es nur darum, einen Kaufreiz zu erzeugen, nicht eine Problemstellung zu lösen.

In die richtige Richtung geht das Impact Hub Vienna mit dem Schwerpunkt auf Startups, die einen sozialen Hintergedanken haben oder eben einen Nachhaltigkeitssinn. Das ist inzwischen ein total großes Ökosystem an nachhaltigen Unternehmen mit Erfolgsbeispielen in der Szene.

Eine ähnliche Richtung in die das WWF-Programm ,Innovate for Nature‘ abzielt.
Ja, wir haben mit der Biodiversität unseren ursächlichen Organisationszweck im Zentrum und suchen Ideen, die im weitesten Sinn was mit einer Kreislaufwirtschaft zu tun haben – neue Verpackungsmaterialen, Insekten als Proteinquelle, Bestandserfassung in der Landwirtschaft oder im Naturschutz.

Oft sind Mobilitätslösung oder im Ernährungsbereich meistens eh gar keine Freak-Öko-Sachen, sondern total Mainstream. Man könnte ja zum Beispiel auch willhaben.at nach Nachhaltigkeitskriterien bewerten, weil es eine Plattform ist, die Sachen anbietet, die sonst nicht mehr verwendet würden. Das ist ein Recyclinggedanke.

Die Kombination von Biodiversität und Startups war bisher selten angesprochen. Meistens geht es um den Klimawandel und die Frage von Clean-Tech, also Lösungen, die im Energiesektor was bewirken.

Unterscheidet sich ,Innovate for Nature‘ also hauptsächlich durch die thematische Ausrichtung von anderen Startup-Wettbewerben?
Wir sprechen vor allem auch in der Frühphase an, nicht Jungunternehmer, die schon einen fertige Businessplan oder sogar schon Prototypen erstellt haben. Wir wollen ab early stage einen längeren Coaching-Prozess begleiten und suchen auf Unis in ganz Österreich. Die Startup-Szene ist üblicherweise sehr techi-orientiert, die Leute, die sich mit Umweltschutz befassen, sind oft ein andere Menschentypus, der vielleicht gar nicht auf die Idee kommt, dass das es da Überschneidungsmöglichkeiten gibt. Wir bringen beide Welten zusammen.

 Was kann die Wirtschaft von der Natur lernen?
Die Kreislaufwirtschaft und die Effizienz. Nichts ist effizienter als die Photosynthese oder wie ein Wald agiert. Er hat die nachhaltigste Rendite, die man sich vorstellen kann, nämlich vier Prozent. Das ist die durchschnittliche Rate, wo ein intakter Wald sich regeneriert. Die Natur wäre in vielerlei Hinsicht ein großes Vorbild. Sie ist Lehrmeister, Quelle und mit ihr effizient und erneuerbar umzugehen, macht ultraviel Sinn. Die Erde ist so groß, dass du ein nicht-regeneratives Verhalten nicht sofort bemerkst. Mit dem Globalisierungstrend fallen die Supply-Chains auseinander. Die Produkte werden nicht dort produziert, wo sie konsumiert werden.

Und die Digitalisierung verstärkt das zum Beispiel durch den Online-Handel?
Ich sehe sie eher als Chance, um Transparenz zu schaffen. Apps bringen uns näher, was auf der anderen Seite der Welt passiert.

Zur Person: Thomas Kaissl leitet beim WWF Österreich den Bereich ,Umwelt&Wirtschaft‘ bei dessen Projekten mit Unternehmen immer der Beitrag und Nutzen für Naturschutz-Anliegen im Vordergrund steht. Er beschäftigt sich mit den Schwerpunkt-Themen Klimaschutz, Nachhaltige Ernährung, Biodiversität, Nachhaltiger Finanzsektor und Ressourcennutzung. Im Startup-Wettbewerb ,innovate4nature‘ sucht der WWF Business-Ideen zum Schutz und Erhalt der Biodiversität in Österreich.

(erschienen im Mai 2017 im Magazin „der brutkasten“ / Ausgabe Nr. 5)

 

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