Wenn Wein irrtümlich zum Wirt wird

Die Glasflügelzikade hat es unabsichtlich auf den Zweigelt abgesehen. Forscher entdeckten: Der Feind lauert in der Brennnessel.

Die Blätter rollen sich ein und werden gelb. Im Herbst verholzen die Triebe nicht wie üblich und färben sich später schwarz. Die Trauben schrumpfen, sind bitter und sauer. So erkennt man die Schwarzholzkrankheit, eine Vergilbungskrankheit von Weinreben. Verantwortlich dafür sind sogenannte Phytoplasmen, zellwandlose, nicht nur im Weinbau gefürchtete Bakterien: Sie stehen mit mehr als hundert Pflanzenkrankheiten in Zusammenhang. Neben der Schwarzholzkrankheit verursachen sie auch Birnenverfall oder Marillensterben.

Wissenschaftler des Austrian Institut of Technology (AIT) isolierten und charakterisierten in Zusammenarbeit mit der Weinbauschule Klosterneuburg die DNA bestimmter Phytoplasmen. Die Ergebnisse des vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Forschungsprojekts zeigen, dass es in Österreich mindestens 14 Genotypen – also genetisch unterschiedliche – Pythoplasmen gibt.

Jenem, das hinter der Rebkrankheit steckt, widmete sich das Team rund um Projektleiter Günter Brader. Er erklärt: „Es gibt zwei Haupttypen, die von verschiedenen Wirtspflanzen kommen. Früher dachten wir, Wildkräuter wie die Ackerwinde würden als Zwischenwirt dienen.“ Nun weiß man, dass die Brennnessel hierzulande die häufigste Infektionsquelle ist. Jedenfalls ist es eine Zikade, meist die Glasflügelzikade, die die Krankheit von Pflanze zu Pflanze überträgt.

Die Forscher untersuchten das madagassische Immergrün und Tomaten als Modellpflanzen, um den Krankheitsverlauf zu studieren und um zu sehen, ob ähnliche Symptome ausgelöst würden. „Wir vermuten, dass sogenannte Effektoren für diese unterschiedlichen Auswirkungen zuständig sind.“

Zurückschneiden kuriert

Und wie wehrt sich der Weinstock? Anders als vermutet verteidigt sich die Pflanze nicht mit der als Abwehrstoff bekannten Salicylsäure. Also versuchte das Forscherteam eine Behandlung mit Bakterien. Doch nur eine einzige Bakterienart reagierte. Und selbst die verzögerte den Ausbruch nur.

Die gute Nachricht: Wirklich problematisch ist die Schwarzholzkrankheit nur langfristig gesehen. Die Ausbreitung sei wellenartig und schwer vorhersehbar, meint Günter Brader. Er spricht von „Zikadenjahren“. Die Krankheit selbst bricht in der Regel frühestens ein Jahr nach der Infektion aus und ist nicht großflächig verbreitet: Momentan zeigen sich Infektionsraten von ungefähr von einem Prozent.

Zusätzlich zu lokalen fielen Unterschiede zwischen den Sorten auf. So ist etwa der Grüne Veltliner praktisch nicht befallen, Zweigelt aber sehr wohl. Wesentlich ist: „Es ist nicht nötig, den Weinstock zu roden. Man kann ihn kurieren durch Zurückschneiden. Manchmal heilen sie von selbst aus.“ Allerdings kann der Weinstock dann mehrere Jahre keinen Ertrag bringen. Der Weinbauer muss entscheiden, ob sich das wirtschaftlich lohnt. Zudem besteht keine Infektionsgefahr, weil der Weinstock ein sogenannter dead-end host ist. „Der Wein ist quasi nur ein irrtümlicher Wirt.“ Von ihm kann die Zikade die Bakterien nicht nehmen und weiterübertragen.

Anders als bei einer ähnlichen Rebkrankheit, die sehr wohl von Wein zu Wein übertragen werden kann: Die gefürchtete Flavescence dorée, die von der Amerikanischen Rebzikade verbreitet wird und trotz derzeit geringer Ausbreitung, beispielsweise in Slowenien, für Aufregung sorgt.

IN ZAHLEN

14 Genotypen, also genetisch unterschiedliche Pythoplasmen (zellwandlose Bakterien, die Pflanzenkrankheiten hervorrufen), gibt es bei uns.

2 Drittel der mehr als 100 Erkrankungen sind aber auf einen einzigen Genotyp zurückzuführen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 17.12.2016)

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