Aktiv werden statt jammern oder schimpfen: Vier Beispiele von engagierten Menschen, die Missstände aufzeigen, Probleme anpacken sowie zum Nachdenken und Tun anregen.
Das Klima wird spürbar aggressiver: Hass in den sogenannten „sozialen Netzwerken“, Falschmeldungen und Fehlinformationen im Internet, Platz für krude Verschwörungstheorien. Emotionen wiegen offenbar mehr als sachliche Argumente und ruhige Debatten. Wer vom gespaltenen Land Österreich spricht, übertreibt zwar maßlos, aber doch kann man sagen, dass die Stimmung aufgeheizt ist – nicht zuletzt durch den polarisierenden, ewig scheinenden Wahlkampf um die Hofburg. Froh über diesen Zustand sind die wenigsten. Viele möchten helfen, selbst etwas bewegen oder zumindest verantwortungsvoll ihrer Rolle als demokratische Bürgerinnen und Bürger nachkommen, indem sie bewusst informiert am Sonntag ihr Kreuzerl machen.
DIE FURCHE hat vier Menschen besucht, die in dieser unzufriedenstellenden Situation etwas verändern wollen. Sie begeistern Kinder und Jugendliche für Politik, wollen die in Verruf geratene Wahlbeobachtung verbessern, ermöglichen Kindern
mit Fluchthintergrund eine bessere Zukunft oder trainieren interessierte Jugendliche und Erwachsene, wie man gegen Stammtischparolen ankommt. Jeder gestaltet auf seine Weise mit, anstatt aus dem bequemen Lehnsessel heraus zu schimpfen und sich in Überlegenheit zu wähnen. Was hat sie bewogen, sich zu engagieren? Und was genau möchten sie damit bewirken?
Politik schmackhafter machen (Dieter Zirnig)
Wie kann man Jugendliche etwa für die Wahl zum Bundespräsidenten interessieren?
Neuwal.com hat viele Rezepte.
Mit den Worten „Mir reicht’s!“ hat Wilhelm Molterer 2008 die Große Koalition aufgekündigt. Die darauffolgenden Neuwahlen gaben den Anstoß, mich intensiv damit zu beschäftigen: Wer kandidiert eigentlich und wen kann man wählen? Welche Parteien und Wahlprogramme gibt’s? Momentan haben wir ja überall Duelle: Clinton versus Trump, Van der Bellen versus Hofer. Ich sehe das nicht als Best-Practice-Modell, da das politische Spektrum breiter ist.
Wissenslücken stopfen
Ich habe immer gedacht, dass ich gut informiert bin, aber es gibt vieles, das nicht in den Medien vorkommt. Meine neu gestopften Wissenslücken habe ich in meinem Blog protokolliert. Diese Erfahrungen habe ich heruntergebrochen und Formate generiert. Zum Beispiel gibt es vor jeder Wahl den walmanach, der viel von Schulen genutzt wird. Dieses digitale Kompendium beinhaltet Interviews der Spitzenkandidaten, Wahlprogramme und Wissenswertes über die Parteien und zeigt auf einen Blick: Wer kandidiert wirklich?
Mein Anliegen ist es, den Prozess der Vorwahl präsent zu machen. Neuwal begleitet vom ersten Tag der Wahl. Außerdem machen wir bei jeder Wahl das Barometer, bei dem wir alle Kandidaten mit den gleichen zehn Thesen konfrontieren. Man kann ganz genau sehen, wer sich wie positioniert auf einer Skala von eins bis zehn, um zu zeigen, es gibt nicht nur Ja und Nein. Schwarz-Weiß-Denken mag ich nicht. Walmanach und Barometer sind Teil vom Langen Tag der Politik. Die journalistischen Recherchen werden so direkt zur jungen Zielgruppe gebracht. Das ist ein Service. Die klassischen Medien kommunizieren an ihnen vorbei.
Großes Interesse von Schulen
Im April habe ich zum ersten Mal einen PopUpStore aufgemacht. Zu den Workshops – ich nenne sie „PopUpPolitics“ – in einer alten, gesponserten Bankfiliale sind viele Schulen gekommen. Dazu gab es ein spielerisches Konzept. Heuer stand es unter dem Motto „Get ready for the Hofburg“. In drei bis vier Stunden hat man zwölf Aktionsfelder durchlaufen und am Ende alles über die Kandidaten gewusst. Es gab sechs Inseln, für jeden Kandidaten eine. Jeder hat eine Rolle eingenommen und im ersten Level alles über den Kandidaten kennengelernt, im zweiten über das System und im Dritten gab es dieses Barometer. Es gab unterschiedliche Felder: Elefantenrunde, Pro-Contra, Wa(h)lkino. 2017 wird der Lange Tag der Politik erstmals österreichweit stattfinden. Neuwahlen im Mai würden also super passen. Ich wär da sehr happy damit. Das Alternativprogramm wäre „Lerne dein Bundesland kennen!“.
„Making politics a better place“, lautet meine Vision. Politik ist nichts Schlechtes. Die Leute – Junge wie Alte – sind sehr interessiert, was den Austausch und Diskurs betrifft. Aber sie wissen zu wenig. Ich bin Jahrgang 75. Ich habe keine politische Bildung in der Schule gehabt und keine Begleitung vor Wahlen. Das ist heute noch nicht viel anders und hängt letztlich vom Einsatz der Lehrer ab, ihren Schülerinnen und Schülern den Zugang zu politischem Wissen zu legen. Es geht einerseits um Basics wie: Was ist der Nationalrat, was ist die Regierung? Der zweite Teil betrifft angewandte Zeitgeschichte: Lasst uns doch etwa das amerikanische Wahlsystem mit dem österreichischen vergleichen.
Mit neuen Formaten will ich Politik schmackhaft machen. Ich habe gemerkt, wenn man jungen Leuten Wissen und die Möglichkeit zum Dialog bietet, mit Politikern persönlich etwa, ist ein erster Schritt getan. Das ist ein Erfolgserlebnis. Mir ist es egal, wer wen wählt, solange jemand reflektiert, warum er diese Wahl trifft.
Bessere Wahlbeobachtung nötig (Armin Rabitsch)
In der Krise der Wahldurchführung liegt die Chance auf Verbesserung.
Wahlbeobachtung.org arbeitet seit 2013 daran.
Die Anfechtung und Verschiebung der Präsidentschaftswahl brachte schlechte internationale Presse. Für jemanden wie mich, der hauptsächlich im Ausland lebt, ist es schwierig zu erklären, was in Österreich passiert. Durch die Wahlanfechtung wurden die Beisitzer verunglimpft, obwohl das ganze System der Wahldurchführung auf ihnen beruht.
Doppelmoral bei Wahlbeobachtung
Ich denke, dass interessierte Akteure der Gesellschaft zur Verbesserung des Systems beitragen sollten. Dafür engagiere ich mich in reiner Eigeninitiative. Zur Nationalratswahl 2013 haben wir uns erstmals zusammengetan. Unser
Anliegen ist, dass interessierte Bürger auch als Wahlbeobachter im eigenen Land tätig sein können.
Obwohl die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) schon 2010 empfahl, dass man zivilgesellschaftliche Wahlbeobachter zulässt, sind in Österreich gesetzlich bislang nur OSZE-Wahlbeobachter vorgesehen. Andere internationale
und vor allem nationale Wahlbeobachter werden nicht anerkannt. Dabei entsendet Österreich Wahlbeobachter nach Sambia, Guinea, Tunesien oder Myanmar, um dort die Wahlprozesse zu stärken und auch nationale Wahlbeobachterorganisationen zu unterstützen. Bei uns in Österreich akzeptieren wir das aber nicht. Da steckt eine gewisse Doppelmoral dahinter.
Klar ist die Stigmatisierung von Wahlbeobachtern im eigenen Land eine Herausforderung. Viele Leute blocken ab und sagen: „Wieso Wahlbeobachter? Wir sind doch eine funktionierende Demokratie und keine Bananenrepublik!“ Dabei gibt es für jedes Land Verbesserungsvorschläge, auch für Deutschland, die USA und Frankreich. Es gibt kein optimales oder perfektes Wahlsystem. Zivilgesellschaftliche Initiativen werden in Österreich immer noch ein bisschen skeptisch beäugt.
Man soll als Wahlbeisitzerin oder Wahlbeisitzer stolz sein können, Teil eines demokratischen Prozesses zu sein. Das wird in der Öffentlichkeit noch nicht wirklich so vermittelt. Es braucht dazu ein professionelles Training und einheitliche faire Entschädigung. Man könnte die Auswahl von der Parteibindung teilweise lösen. Ich stelle mir vor, dass man einen neuen Pool an interessierten Menschen, zum Beispiel mit Studierenden der Politik- oder Rechtswissenschaften kreiert, welche als Teil ihres Studiums als Wahlbeisitzer oder aber auch als Wahlleiter zur Verfügung stehen.
Mehr Transparenz und Vertrauen
Vor allem jüngere Menschen wollen nicht mehr mit einem parteipolitischen Label im Wahllokal anwesend sein, sich aber trotzdem engagieren. Wir müssen sie motivieren und versuchen, sie vermehrt in den demokratischen Prozess einzubinden. In der Krise in der Wahldurchführung liegt auch eine Chance auf Verbesserung. Deswegen haben wir uns mit der Bundeswahlbehörde, mit Wahlexperten, dem Verfassungsdienst im Parlament und allen Parlamentsparteien zusammengesetzt. Wir wurden mit offenen Armen empfangen. Jetzt bereiten wir uns auf die Wiederholung der Stichwahl vor, um unsere Verbesserungsvorschläge vorzustellen. Einer davon ist beispielsweise die Öffnung der Auszählungen für alle Bürger, wie es auch in den Niederlanden und Deutschland passiert. Damit könnte man mehr Transparenz und Vertrauen schaffen und den ganzen Prozess stärken. Mein Wunsch wäre es, dass unser Diskussionspapier bei Überlegungen zur Wahlrechtsreform als Referenzdokument hergenommen wird. Es wäre schön, wenn unsere 30 Empfehlungen beachtet werden. Idealerweise werden wir von der Wahlreformgruppe des Parlaments zum Expertenhearing im Jänner eingeladen.
Ein Grashalm zum Festhalten (Eva Krapf)
Eine pensionierte Schuldirektorin hat erst mit Flüchtlingskindern gelernt.
Nun alphabetisiert sie ganze Familien.
Ich habe 30 Jahre lang in Floridsdorf unterrichtet. Später war ich Direktorin der Musikhauptschule in der Dietrichgasse im dritten Wiener Gemeindebezirk. Nach meiner Pensionierung wusste ich: Ich will noch etwas machen. Durch meine Tochter, die das Diakonie-Flüchtlingshaus Rossauer Lände von der Dreikönigs-Aktion kannte, kam ich hierher in dieses Grundversorgungsquartier, wo circa 170 Flüchtlinge, großteils Familien, leben. Die Organisation ist fantastisch und man hat wirklich das Gefühl, dass man helfen kann.
Als ich im März 2013 begonnen habe, Erwachsene, aber auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu unterstützen, habe ich mich entweder nur mit ihnen unterhalten oder bei der Hausübung vom Deutschkurs geholfen. Wenn jemand für den Hauptschulabschluss lernt, dann übe ich auch Mathematik. Rasch habe ich angefangen, ganze Familien zu alphabetisieren; eine Familie aus Somalia, eine aus Syrien und jetzt in den vergangenen Ferien eine afghanische Familie.
Vorurteile gegen Analphabeten
Afghanen haben es schwerer in der öffentlichen Anerkennung. Man stuft sie als dumm ein, dabei sind sie gescheit und lernen schnell, aber viele sind unbeschult, weil sie schon als Kinder im Iran als Hilfsarbeiter am Bau arbeiten mussten. Auch viele somalische Kinder zwischen fünf und siebzehn hatten noch nie eine Schule von innen gesehen. Es ist dramatisch, wenn einem das bewusst wird, dass jemand von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz geflüchtet ist und sein ganzes bisheriges Leben lang in Flüchtlingslagern gelebt hat.
Ich erzähle im Bekanntenkreis kaum, dass ich hier arbeite, weil ich nicht immer dieselben Fragen beantworten will: „Kannst du dich nicht für österreichische Kinder oder die alten Leut‘ im Heim einsetzen?“ Es soll jeder machen, was er glaubt. Ich will den Ärmsten der Armen helfen. Den wenigsten steht hier eine hoffnungsvolle Zukunft bevor. Ich mache mir besonders Sorgen um die 20- bis 25-Jährigen, die keine Schulbildung haben.
Ich habe schon als Lehrerin versucht zu handeln, anstatt mich nur über Schwierigkeiten zu ärgern. Hier bin ich ein Einspringer, manchmal tratsche ich einfach mit den Leuten. Eine Schule oder einen Deutschkurs kann ich natürlich nicht ersetzen. Die müssen organisiert und auch auf Qualität kontrolliert werden.
Ich kann nur ein kleiner Grashalm sein, an dem man sich anhält. In meinen zwei, drei Stunden, die ich jeden Dienstag und Mittwoch hier bin, möchte ich ein bisschen dazu beitragen, dass Menschen einfacher Deutsch lernen. Heute zum Beispiel übe ich mit einer Mutter die unregelmäßigen Perfekt-Formen. Sie lernt fleißig auswendig, irgendwann wird das Früchte tragen. In den dreieinhalb Jahren habe ich noch keinen einzigen Menschen getroffen, der nicht Deutsch lernen möchte.
Viel Dankbarkeit spürbar
Ich glaube, dass jeder, der einmal hier war und diese Leute und ihr Schicksal persönlich kennengelernt hat, niemals gegen Flüchtlinge oder Integration sein kann. Jene, die so empört sind, haben wahrscheinlich selbst noch wenig mit Flüchtlingen zu tun. Erst durch den direkten Kontakt kann man sich überhaupt erst eine Meinung bilden. Es sind wirklich total liebenswerte Menschen, höflich und freundlich. Sie sagen immer Bitte und Danke, sie klopfen an und sind dankbar.
Andere Meinung muss möglich sein (Marion Wisinger)
Mit dem Workshop „Argumente gegen Stammtisch“ soll das raue Diskussionsklima im Land wieder verbessert werden.
Ich gestalte den Workshop „Argumente gegen Stammtisch“ seit über 15 Jahren und die Nachfrage wird immer größer. Alle Anti-Rassismus-Trainings haben bisher dort geendet zu klären, wie Rassismus auftritt, aber in konkreten Diskussionen waren wir erst wieder hilflos. „Die Flüchtlinge nützen unser Sozialsystem aus“ oder „Man traut sich nicht mehr auf die Straße“ – das sind so klassische Stammtischparolen.
In einer so komplexen Materie ist man verloren, wenn man sofort auf Sachlichkeit setzt. Man verheddert sich in Argumenten, die nicht gehört werden. Meistens wird es emotional oder persönlich. Im Training versuchen wir, zunächst auf ruhige Art auf andere Personen einzugehen und eine Gesprächssituation herzustellen, die gewohnte Echokammern auf beiden Seiten öffnet. Es geht im Grunde um Beziehungsarbeit am Beginn der Diskussion. Da gilt es zu signalisieren: Ich nehme dich ernst, lass uns darüber reden! Das haben wir alle durch das Schubladendenken und die reflexartige Ablehnung anderer politischer Meinungen verlernt.
Demokratie heißt Vielfalt
Mein Ziel wäre jener Effekt beim Gesprächspartner: „O.K., wir sind unterschiedlicher Meinung, aber die andere Person hat mich respektiert und ich werde zumindest über deren Positionen nachdenken.“ Die Leute sollen wieder miteinander reden können und erkennen, dass es unterschiedliche Ansichten gibt. Davon lebt schließlich die Demokratie. Ich wünsche mir, dass Menschen wieder gerne politisch diskutieren. Derzeit empfinden das viele als Belastung. Sie denken sich: „Um Gottes Willen, die Tante Mizzi fängt schon wieder mit den Flüchtlingen an.“
Es ist schade, wenn man da genervt abblockt, aber es ist genauso wenig hilfreich, wenn man belehrend oder moralisierend reagiert. Dann wird auch die Tante Mizzi
nicht bereit sein, andere Argumente wahrzunehmen. Es geht aber auch nicht um ein Psychologisieren, sondern um echtes Interesse dafür, wie die Welt des anderen ausschaut. Dieses Feingefühl haben wir komplett verloren, gerade in aufgebrachten Situationen, wie sie rund um den polarisierenden Bundespräsidentschaftswahlkampf vorkommen.
Ich arbeite auch mit Hausmeistern, Flüchtlingsbetreuern und Altenpflegerinnen. Sie werden mit fremdenfeindlichen Ressentiments konfrontiert und beschimpft. Bei mir lernen sie wieder gelassen zuzuhören. Es geht weniger um das Überzeugen, sondern um das gegenseitige Verständnis.
Der Rest ergibt sich von selbst. Wenn ich den Workshop mit Schülern mache, lasse ich sie immer in die Rolle eines Rechtspopulisten steigen. Sie begreifen, wie leicht es ist, diesen Zorn zu haben und ohne Nachdenken zu streiten, aber sie merken auch, dass es einen Sinn hat, etwas dagegen zu sagen. Gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung wurden circa 50 Workshop-Trainer ausgebildet. Zwar war der Bedarf schon lange groß, aber unsere Arbeit und der Austausch zeigen: Das Klima wird immer aggressiver. Im Internet und in Gratiszeitungen werden täglich Unfug, falsches Wissen und eine unglaubliche Wut erzeugt. Das ist besorgniserregend.
Das Argumentationstraining kann helfen, Blockaden zu lösen. Am Ende meiner Workshops stelle ich folgende Aufgabe: Geht zum nächsten Würstelstand und redet mit den Leuten! Manchmal stellt sich heraus, dass jemand nur nachredet, manchmal hat man es tatsächlich mit Rassisten zu tun, oft ist Halbwissen im Spiel. Wichtig ist, nicht sofort zu widersprechen, sondern zuerst zu klären, worum es geht. Dafür benötigt man Strategien, die man lernen kann. Dann kann man seine Frankfurter Würstel wieder in Ruhe essen.