Immer mehr Menschen setzen sich mit der Produktion und Herkunft ihrer Lebensmittel auseinander. Sie wenden sich bewusst gegen die Einkaufspolitik der Supermarktketten, wenn sie sagen, „Ich esse, was gerade reif ist. Paradeiser und Erdbeeren brauche ich nicht im Jänner“ oder „Ich möchte nicht, dass Lebensmittel quer über den Globus geliefert werden müssen“. Schon vor etwa zehn Jahren haben sich in Österreich deshalb die ersten Lebensmittelkooperativen – sogenannte Food Coops – gegründet. In Oberösterreich gibt es aktuell rund 20 solcher Initiativen.
Die als Verein organisierten Einkaufsgemeinschaften sind der dortigen Wirtschaftskammer aber nun ein Dorn im Auge. Jene fünf Vereine, die über die Website foodcoops.at leicht auszumachen sind, erhielten vor einigen Wochen einen Brief, der mit einer Anzeige bei der Bezirksverwaltungsbehörde drohte, würde man keine Gewerbeberechtigung vorlegen. Der Obmann der Food Coop “Speis” aus Vorchdorf, Stefan Hörtenhuber, war in mehrerlei Hinsicht irritiert und sich keiner illegalen Handlung bewusst, da sie auch als klares Vereinsziel definiert haben, dass es keine Ertragserzielungsabsicht gäbe.
Tatsächlich geht das Geld für die Lebensmittel zum Abhof-Preis, also ohne Händlerrabatt, zu 100 Prozent an die Produzenten. Doch auch wenn der Verein keinen wirtschaftlichen Vorteil hat, stuft die Wirtschaftskammer Oberösterreich die Einkaufsgemeinschaft als gewerblich ein. Schon allein die Tatsache, dass die Handelsspannen wegfallen, stört sie. Hörtenhuber hingegen betont: „Niemand außerhalb des Vereins kann von uns Produkte kaufen.” Trotzdem droht der Initiative nun eine Klage über die Schutzverbände gegen unlauteren Wettbewerb.
Zwar habe man prinzipiell nichts gegen solche Initiativen, ließ Rudolf Trauner, Präsident der Wirtschaftskammer Oberösterreich via Aussendung wissen. „Sie müssen sich nur an die gleichen Spielregeln halten wie unsere Mitgliedsbetriebe und ein entsprechendes Handelsgewerbe anmelden.“
Wenn Trauner von gleichen Spielregeln für alle spricht, meint er vor allem kleine regionale Nahversorgungsbetriebe. Die müssten vor Food Coops geschützt werden. Kooperativen als Greissler-Killer? Das sieht der Neos-Nationalratsabgeordnete Sepp Schellhorn ganz anders: „Die Ortskerne und damit die Greißler sterben, weil der Bau von Einkaufszentren gefördert und forciert wird. Wir brauchen eine konsequente Verknüpfung zwischen Förderpolitik und Raumordnung.“ Nicht Food-Coops zusperren sondern Förderungen für Kleinunternehmen seien der richtige Weg: „In meiner Heimatgemeinde konnte der Bäcker gehalten werden, weil er einen Zuschuss bekommt. Außerdem gehört die Gewerbeordnung längst reformiert. Die Auflagen sind so restriktiv, dass ein Kleinunternehmen schnell aufgibt.“
Tatsächlich sehen viele gerade in den spezialisierten und qualitätsorientierten Nahversorgern die Möglichkeit, den Bedarf der kritischer werdenden Konsumentenschaft zu decken, mit Bauern der Region zusammen zu arbeiten und sich so positiv von ihren wahren Konkurrenten, den großen Handelsketten abzugrenzen. Denn für diese ist der Handel mit Produkten aus Familienbetrieben schwer. Kleine Höfe bringen meist auch nicht die Mengen auf, um Supermärkte zu beliefern.
Sonst nehmen die bewussten Einkäufer das selbst in die Hand. Sie gründen einen Verein, mieten einen Keller und bestellen direkt bei regionalen Bauern, die sie am Hof besuchen und mit denen sie regelmäßig in Kontakt sind. So ist auch in Vorchdorf die “Speis” entstanden: “Unsere Gemeinde ist ein Mittelding aus Dorf und Stadt”, erzählt Stefan Hörtenhuber. Es gibt schon einen Ortskern, aber alles ist sehr großflächig, rundherum gibt es viele landwirtschaftliche Betriebe. „Der kleine Nah&Frisch musste vor ein paar Jahren zusperren.“ Er konnte der Konkurrenz der sechs großen Handelsketten im Umkreis nicht mehr standhalten. Bei den Bauern in der Umgebung gebe es oft die Möglichkeit ab Hof einzukaufen, aber das sei mühsam. Und so hat eine Handvoll interessierte Familien beschlossen, ein zentrales Lager zu mieten und gemeinsam von den Bauern in der Gegend zu bestellen. Mittlerweile haben sie circa 30 Lieferanten beisammen.
Food Coops geht es einerseits um gesunde biologische Lebensmittel, andererseits liest man auf der Website „foodcoops.at“ von “Kritik am gängigen Lebensmittel- und Agrarsystem, das sehr stark von Supermärkten und Agrarindustrie dominiert ist und von industrieller Landwirtschaft, langen Transportwegen und Ungleichheiten geprägt ist”.
Dazu möchten die Kooperativen eine Alternative sein. Anfallende Aufgaben wie Einkauf und Ladendienst organisieren die Vereinsmitglieder untereinander. Gemeinsame Entscheidungen werden basisdemokratisch getroffen. Für all das braucht man schon jede Menge Zeit, aber das ist Freizeit wohlgemerkt. Auf zehn ehrenamtliche Stunden pro Woche würde der Verein schon kommen, schätzt Hörtenhuber. Der Umsatz der „Speis“ beträgt 20.000 Euro im Jahr, Mitgliederbeiträge für Raummiete, Betriebskosten und Versicherung inklusive. „Die Politik muss sich für diese Lebensmittelkooperativen stark machen“, sagt Neos-Abgeordneter Schellhorn, der das Thema auch im Landwirtschaftsausschuss des Nationalrats zur Diskussion gestellt hat. Unternehmertum soll schließlich auch für kleine Produzenten ermöglicht werden. Dass aus der Marktdominanz großer Handelsketten ein Bedürfnis nach hochwertigen, regionalen Produkten erwächst, hält Schellhorn für logisch. Doch Marketingkonzepte wie die Genussregion würden den Landwirten keinen Absatz garantieren. „Die Kooperativen hingegen ermöglichen selbstbestimmten Direktverkauf ohne dass Bauern sich abhängig machen müssen von weiteren Spezialisierungen wie den Genussregionen.” Die Interessensvertretungen würden hier ein verfehltes Konzept verfolgen, meint er. „Wie die Wirtschaftskammer ist hier auch die Landwirtschaftskammer starr und unfähig, sich ins 21. Jahrhundert zu bewegen.“
Wenn von gleichen Spielregeln, Direktvermarktung und Konkurrenz die Rede ist, gibt es aber nicht nur die Food Coops, sondern auch die Bauernmärkte. Auch sie sind von der Gewerbeordnung ausgenommen. „Bevor wir die Speis gegründet haben, hielten wir natürlich Rücksprache mit dem Bauernmarkt”, sagt Vereinsobmann Hörtenhuber. Das Verhältnis beschreibt er nun aber nicht als Konkurrenz, sondern als gegenseitige Unterstützung. „Unser Brotlieferant verkauft sein Brot auch am Markt”, erzählt er „auf dem Weg dorthin bringt er uns unsere Bestellung.” Geliefert und gekauft wird übrigens nur, was vorher bestellt wurde, ein weiterer Unterschied zu Händlern.
Der Streit um die Nahrungsmittel-Kooperativen könnte nun auch eine wichtige Debatte eröffnen. Jene über die Harmonsierung der Gewerbeordnung, die von Bundesland zu Bundesland verschieden geregelt ist. Denn Klarheit und Rechtssicherheit wollen alle Beteiligten. Dazu planen Vertreter der Lebensmittelkooperativen, der oberösterreichische Landesland Rudi Anschober (Grüne), die Arbeiter-, Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer, sowie die Bio Austria, die Lebensmittelaufsicht nun einen Runden Tisch. Dass es nicht so weitergehen kann, meint auch der Abgeordnete Schellhorn: „Oberösterreich ist ein Raumordnungsdestaster, da gibt’s einen Supermarkt neben dem anderen. Jetzt das Aussterben von Nahversorger und Ortskern der Food Coop zuzuschieben, ist ein besonders Zeugnis der Ahnungslosigkeit. Das Greißler-Sterben hat vor 15 Jahren eingesetzt und die Wirtschaftskammer hat zugeschaut.“
(erschienen in der Furche im Mai 2016)
Meinen persönlichen Kommentar zum Thema habe ich auf http://www.biorama.eu veröffentlicht: Fällt der WKÖ nichts mehr ein, kommt sie mit dem Gewerbeschein