Stefan Kaineder: „Das müssen wir in unserer Partei wieder rückgängig machen“

Mit großem Schritten nähert sich ein Mann der Spitze von Österreichs Grünen an: Stefan Kaineder ist erst Anfang Februar Werner Koglers Stellvertreter auf Bundesebene geworden – ebenso wie die Vorarlbergerin Nina Tomaselli. Beide gelten als Zukunftshoffnungen und sind seit November im Vorstand der Partei.

Am 6. April kandidiert Kaineder für den Landessprecherjob in Oberösterreich. Als einziger. Er ist ein Umsetzer, Politik hat er nicht in den vergangenen Jahren erprobt, sondern auch im Aufwachsen gespürt. Immerhin war sein Großvater 23 Jahre lang der Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Kirchschlag. Mit diesem Zug zum Tor kann es nur noch eine Frage der Zeit sein bis der Chefsessel an ihn geht. Der von Werner Kogler wird 2021 frei, dann könnte er eventuell auch statt Rudi Anschober als Spitzenkandidat in den Landtagswahlkampf ziehen. Stefan Kaineder im Gespräch mit Juliane Fischer über Wahlen, Weideschlachtung und Wirtshausrunden.

 Herr Kaineder, reden wir gleich einmal über ihre jüngsten Kandidaturen: Anschober oder Kogler – wen wollen Sie lieber ersetzen?
Beide Fragen stellen sich noch nicht. Ich habe in der Bundespartei Verantwortung übernommen, da die vergangene Nationalratswahl ein herbes Erlebnis für die Grünen war. Werner Kogler wird bis zum Herbst 2021 Parteichef sein. 

Warum geht er dann auch nach Brüssel?
Der Werner ist ein Kämpfer, der sich nicht durch die lange Zeit des politischen Establishments verändern hat lassen. Er funktioniert am Stammtisch genauso gut wie am Rednerpult im Parlament und ist jemand der Themen offen anspricht und den Konflikt nicht scheut. Parlamentarismus in Reinform wie er im Europäischen Parlament gemacht wird, liegt ihm.

Sie sind ein Mühlviertler, am Bauernhof aufgewachsen. Sie haben Theologie studiert, ihr Großvater war zwei Jahrzehnte ÖVP-Bürgermeister. Das klingt in traditionellen Mustern gedacht insgesamt alles recht schwarz. Warum sind Sie bei den Grünen politisch aktiv geworden?
Mit dem Bürgermeister als Opa, wird am Küchentisch immer politisiert. Wenn man die Welt besser machen und sich einmischen will, ist Politik eines der richtigen Felder. Ich sehe dabei zwei Herausforderungen: die Schere zwischen Arm und Reich – nicht nur in Österreich, sondern auch global zu schließen und ohne großen Wohlstandsverlust – mit nur einem Planeten auszukommen. Am Freitag gehen Tausende junge Menschen auf die Straßen. Sie sagen völlig zu Recht: Ihr könnt’s uns unsere Zukunft nicht wegnehmen!

 Kommen wir zur obligatorischen Grünenfrage: Fundi oder Realo?
Beides. Wir müssen in der Analyse der Problemstellungen radikal sein. Es hilft nichts, zu sagen: ,Mit der Klimakrise das wird schon, da gibt’s die eine technische Neuerung und dann schaffen wir den Turnaround.‘ Die Wissenschaft sagt das Gegenteil! Wir müssen hinschauen, dort wo Dinge im Argen liegen. Die Frage der Nachhaltigkeit, des gesunden Essens ist so eine. Dann müssen politische Mehrheiten her. Es hat immer mit Diskurs und Kompromiss zu tun. So gesehen bin ich pragmatisch. Als Politiker kann ich nicht sagen: , Ich verkündige die Wahrheit und warte, was passiert‘.

Die Dringlichkeit betonen kann jeder. Was sind konkrete Maßnahmen?
Anträge hab ich schon zu genüge gestellt in dreieinhalb Jahren als Oppositionspolitiker im Landtag. Die Mindestsicherungsdebatte fiel im meinen Bereich. Da ist ja Oberösterreich leider ein Negativbeispiel.

Auf welche Aktion sind Sie stolz?
Zum Beispiel haben wir als erstes Bundesland die stressfreie Schlachtung im gewohnten Lebensumfeld durchgesetzt. Das ist im Übrigen der einzige Erfolg, den ich zu verzeichnen habe, aus 18 oder 19 Anträgen, wie man Landwirtschafts- und Ernährungspolitik anders gestalten soll. Nachdem ich da mit vielem abgeblitzt bin, fahre ich jetzt durch die Wirtshäuser des Landes.

 Ist das nicht zermürbend in der Oppositionsrolle? Wie schützt man sich davor, mutlos oder zynisch zu werden?
Ganz einfach, ich spüre den Rückhalt und den Zuspruch sehr vieler Menschen, die damit absolut nicht einverstanden sind,  was die verantwortliche Politik derzeit macht und was sie alles verabsäumt. Die Leute kennen sehr wohl die aktuellen Probleme und kommenden Herausforderungen, sie haben ein Gespür dafür. Und sie wollen, dass sich einiges ändert, etwa beim Klimaschutz. Sie wollen, dass die Aufgaben von einer mutigen und weitsichtigen Politik angegangen und erledigt werden. Das ist für mich eine immense Motivation.

Was hat Sie bei diesen Stammtischgesprächen bisher überrascht?
Was mich wundert, ist, dass Menschen mit den verschiedensten Überzeugungen – von der Veganerin bis zum blauen Landwirtschaftskammerrat –  mit einem Grünen diskutieren wollen. Das empfinde ich als große Wertschätzung. Demokratie ist letztendlich nichts anderes als miteinander streiten und Lösungen suchen.
Trotz der Unterschiede, gibt es weitgehend Einigkeit über die Rahmenbedingungen. Der Widerspruch ist marginal und löst sich im Gespräch meistens auf. Wenn ich die Frage stelle: Wer will gesunde, regionale, bäuerliche Lebensmittel am Tisch, gehen alle Hände in die Höhe.

Wenig verwunderlich. Aber wer ist bereit dafür zu zahlen? Für Essen geben Österreicher durchschnittlich nur 13 Prozent ihres Einkommens aus.
Das diskutieren wir jeden Abend. Und in weiterer Folge auch über Förderbedingungen zum Beispiel: Wollen wir weiterhin Milliarden in Agrarindustrie investieren oder Subventionen so bauen, dass eine kleinstrukturierte Landwirtschaft konkurrenzfähig bleibt. Viele wollen das neu organisieren und zeigen eine Bereitschaft zu geringfügig höheren Preisen. Eine Studie der BOKU zeigt, dass man sich mit Umstellung auf biologische Landwirtschaft 425 Millionen Euro jährlich sparen würde an Folgekosten. Da sind die Gesundheitskosten noch nicht einmal inkludiert. Ich sage den Stammtischgästen, die aus allen politischen Vertretungen kommen: Schreibt’s euren Abgeordneten, fragt sie! Die Bürgerinnen und Bürger können in den politischen Prozess eingreifen.

,Fenster aufreißen, frischen Wind herein lassen und mutig voran‘ sagen Sie in Ihrem Bewerbungsvideo…
Diese Aufforderung bezieht sich nicht nur wie bei Neos‘ frischen Wind auf den politischen Diskurs insgesamt, sondern auch auf die Grünen. Wir waren von unserer Genese her eine Bewegung, die aus vielen politischen weltanschaulichen Gruppierungen zusammengesetzt ist und die sich nicht als geschlossene Partei verstanden hat. Das hat sich geändert und wir müssen es wieder rückgängig machen. Gerade weil wir nicht im Nationalrat sitzen, ist es wichtig, Bündnispartner zu finden. Nur so kriegen wir genug Gewicht in die Waage, sodass sich politische Mehrheiten ändern und das ist unser Job.

Arbeitsübereinkommen für bestimmte Sachthemen?
Das funktioniert nicht nur bei Sachthemen, sondern auch – weil es die neue Regierung erfordert – bei ganz fundamentalen, politischen Werten. Es gibt Menschen aus allen Lagern, die überhaupt nicht einsehen, dass das Wertefundament dieser Republik jetzt angegriffen wird. Da müssen wir zur Zusammenarbeit in der Opposition offen sein.

Mit wie viel Prozent rechnen Sie für die EU-Wahl?
Mein größter Wunsch ist, dass wir es reinschaffen. Das muss der erste Schritt zurück sein für die österreichischen Grünen. Dass wir 14 Prozent nicht erreichen werden, ist klar. Wenn wir das zweite Mandat für Sarah Wiener schaffen, haben wir ein großes Ziel erreicht.

In OÖ gibt es starke Industrie-Regionen. Wie wollen Sie die Wirtschaft auf Ihre Seite bringen?
Am Ende wird’s wichtig sein, dass alle Stakeholder in einer Gesellschaft am selben Ziel arbeiten, nämlich dass wir unseren Wohlstand nachhaltig absichern und nicht weiter an der Zerstörung unseres Planeten arbeiten. Oberösterreich ist ein hervorragendes Beispiel. Unter Schwarz-Grün ist die Voest Alpine mit neuen Umweltauflagen konfrontiert worden. Der Aufschrei war groß, aber Jetzt ist alles umgesetzt und in Linz steht das sauberstes Stahlwerk der Welt. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen in jedem Quartal die höchsten Gewinne der Konzerngeschichte geschrieben.
In Kalifornien sieht man, dass die Energiewende eine Riesenchance für den Wirtschaftsstandort ist. Der Bundesstaat zeichnet innerhalb der letzten zehn Jahre für 20 Prozent des gesamten Wirtschaftswachstums der Vereinigten Staaten verantwortlich. Das hat nur einen Grund: nämlich volle Kraft voraus bei der Energiewende!

Silicon Valley und die fünf großen Technikgiganten – Amazon, Facebook, Google, Microsoft und Apple –werden auch ihren Anteil daran haben….
Wir lassen bei der Umgestaltung unserer Gesellschaft viele Chancen liegen. Weil wir nicht vorangehen, sondern hinten nachhecheln. Das gilt auch für die Ernährungswende und bei der Verkehrswende. Nur mit  einem massiven Ausbau des Öffentlichen Verkehrs werden wir es schaffen, dass die Kinder in der Stadt irgendwann einmal dieselbe saubere Luft atmen wie wir am Land.

Sie finden auch ,Die Politik soll mehr Biolandwirtschaft machen‘. Ist die Produktionsweise nicht Entscheidung der Bauern und der Konsumenten? Das kann man nicht politisch verordnen.
Die hochpolitische Frage ist: Wofür geben wir Gelder aus? Momentan fließt ein Drittel der 50 Milliarden Agrarförderung an 1,5 Prozent der Betriebe und das ist Großindustrie. Nehmen wir doch die 17 Milliarden Euro und investieren sie in Ökologisierungsmaßnahmen. Jene Bäuerinnen und Bauern, die biologisch wirtschaften, die Wasser- und Artenschutz betreiben, bekommen das Geld. Ich bin dafür, dass wir öffentliche Gelder für gesunde Lebensmittel ausgeben und dagegen, dass sie in Tierfabriken landen.

Das betrifft die Verhandlungen des mehrjährigen Finanzrahmens, die gerade laufen.
Wir haben starke Grüne in Deutschland und Holland. Diese Allianzen suchen eine Mehrheit für die Vorschläge der Kommission, zum Beispiel, dass kein Betrieb mehr als eine bestimmte jährliche Fördersumme bekommt. Eine Deckelung von 100.000 Euro sind im Gespräch. Mit dem Drittel, das frei wird, müsste man radikal in die Ökologisierung gehen.
Als zweites darf es kein Abkommen wie Mercosurgeben, das billigstes Soja aus Südamerika, wo Urwälder verschwinden und das Glyphosat mit dem Flugzeug ausgebracht wird, in den Markt schwemmt.

Sie sind studierter Theologe. Was kann die Politik aus der Theologie lernen?
Es ging viel um die Werte, nach denen sich die Gesellschaft ausrichtet: die Würde des einzelnen Menschen, der behutsame Umgang mit der Umwelt, das Gemeinwohl im Fokus politischer Entscheidungen. Das sind die Eckpfeiler der christlichen Soziallehre. Auf diesem Wertefundament versuche ich Politik zu machen. Ich merke, dass dieser Konsens, den es in Österreich darüber gab, bröckelt. Es gibt Politikerinnen und Politiker, die ihren eigenen Vorteil über diese Werte stellen. Das ist bedenklich und fordert uns heraus, sie vehementer einzufordern.

Ihre Kandidatur haben Sie auf Facebook bekannt gegeben.Müssen die Grünen neue Wege gehen um Menschen zu erreichen?
Ich setze bewusst soziale Medien ein. Wenn ich eine Rede im Landtag halte, hören 55 Abgeordnete zu. Auf Facebook fülle ich ein kleines Stadion. Diesen kommunikativen Vorteil bietet das 21. Jahrhundert. Doch der direkte Kontakt mit echten Menschen darf uns nicht verloren gehen. Die Reichweite ist bei meinen Wirtshausrunden eine andere, aber der Profit ist sehr groß.

(erschienen in der Furche vom 4. April 2019)

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