Regenradeln

Jahrhundertsommer, aber just an dem Tag, an dem ich 55 Kilometer die Traisen entlangradle für das Mostviertel Magazin, schüttet es natürlich Ende nie.

Ein Sonntag, Mitte Juli. 8 Uhr 45. Am Himmel hängen Novembergraue Wolken. „Das wird immer schlimmer“, kommentiert der Bus-Chauffeur wenig ermunternd als wir aus der Hauptstadt hinausfahren. Zwischen Traisen und Lilienfeld versucht er es gut zu machen: „Da ist die Straße ganz trocken“, sagt er und tatsächlich: Je weiter wir ins Gebirge fahren, desto mehr lichtet sich die Wolkendecke. „Das hätten wir auch nicht geglaubt in St.Pölten“, sind wir uns einig an der Endstation Kernhof.

Endstation Kernhof. „Wo die Traisen in die Donau mündet“ – diese Erklärungsphrase habe ich als gebürtige Traismaurerin schon oft gesagt. Wo dieser Fluss entspringt, wird in der Volksschule gelehrt. Drinnen im Gebirge irgendwo. Die Quellflüsse Türnitzer Traisen und Unrechttraisen fließen zusammen und kommen bei uns in Traismauer in die Donau. Auf seinem Weg durchkreuzt der Fluss das Mostviertel. Er führt Gegensätze zusammen. An den Ufern zeigt sich die Vielfalt des Viertels. Das klingt dahingesagt, aber es sind wahrlich zwei Welten, die die 111 Kilometer Radweg trennen – nicht nur wettertechnisch. Bei uns sorgt das milde, warme Klima der Donau für Marillen und Veltliner auf sanften Hügeln. Bei seiner Abspaltung vom „Donauland“ 1995 bekam mittlerweile 815 Hektar fassende Weinbaugebiet den Namen „Traisental“. Raue Kalkfelsen, Gebirgswälder und Mostbirnbäume kommen einem dabei nicht in den Sinn. Doch diese Region gehört genauso zum Traisental, das sich ideal per Rad erkunden lässt. Starten kann man gut in der Mitte. Der Radtramperbus bringt Räder und Fahrer von der Landeshauptstadt nach Kernhof. Von dort sind es 55 Kilometer retour und weitere 23 bis zur Flussmündung mit direkter Anbindung an den Donauradweg.

Unternehmertum im Bahnhof. Entlang der stillgelegten Bahntrasse gibt es bemoste Waldböden mit Farn in allen Grünschattierungen zum Augen ausrasten und Beine vertreten. Dazwischen wechseln sich erfolgreiche Industrieunternehmen und Fabriksruinen ab. Von den herrschaftlichen Villen zerfallen viele langsam vor sich hin. Gleichzeitig werden einige der typischen steinernen Bahnhofsgebäude neu belebt, zum Beispiel von einer Maßschuhmacherin in Kernhof oder durch ein Nostalgie-Café in Sankt Aegyd. Die „Süßmeisterei Mahonie“ startet jetzt in die vierte Saison. Der Chef ist Quereinsteiger. In seiner Heimatregion wollte er immer schon etwas bewegen, aber als Gemeindevorstand sah er seine Ideen und Motivation verpuffen. Gemeinsam mit seiner Frau Anna Mahonie, die aus Rosenheim stammt und Konditorin gelernt hat, gestaltet er nun mit dem Lokal den Ort aktiv mit. Das 1891 erbaute Bahnhofsgebäude ist so nach vielen Jahren Leerstand seit März 2015 mit neuem Leben erfüllt. Hündin Maxi, ein mittelbrauner Riesenschnauzer mit Husky-Zugzwang überwacht das Geschehen. Alte Singer-Nähmaschinen und Truhen sind zu Tischen umfunktioniert. Die kulinarische Auswahl reicht vom Weißwurstfrühstück „Meine Heimat Bayern“ bis zum „Tussiburger“ mit Bio-Fisch aus Türnitz und hausgemachtem Eis in experimentellen Sorten wie Ingwer-Birne und Kürbiskernöl.

Es geht kein Zug nach Sankt Aegyd. Dann kommt der Regenguss auch hier an. Tropfen fallen wie hunderte Perlenketten auf die Schafgarbe, die Königskerzen, die Kornblumen, den Klee. Und auf uns, mittlerweile komplett durchnässt in die Pedale tretend. Vom Wegrand schauen uns grasende Kühe unbeeindruckt an. Unter dem Regen dampfen die Wälder der Mostviertler Alpen. Zum Glück geht es oft ein wenig bergab. Der Weg schlängelt sich durch ruhige Wohnsiedlungen. Eine Familie verlädt gerade die Kübel erster Klaräpfel ins Auto. Ab Wilhelmsburg wird die Traisen breiter. Der Wald weicht einer Au und die Almen den Kukuruz-Ackern. Die Kanadische Goldrute blüht als Farbtupfen am Feldweg. Graureiher, Schwäne und eine Entenfamilie bevölkern das Wasser. Auf Grund unseres tropfenden Auftretens verzichten wir auf den Besuch im  Geschirrmuseum in Wilhelmsburg und statt einer Erfrischung im Lilienfelder Strandbad „Salettl“ gibt’s am Nachmittag einen Saunaaufguss. Bei Schönwetter kann ja jeder Radfahren, denke ich, als ich die Socken auswringe. Der Traisentalradweg ist sonst eh zu kitschig.

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