Lungenkrebs ist öfter Frauensache

Warum entwickelt sich Lungenkrebs bei Männern und Frauen unterschiedlich? Die Molekularbiologin Rita Seeböck sucht Antworten darauf auch im Umfeld der Betroffenen.

Der Lungenkrebs zählt zu den tödlichsten Krebsarten. Zwar nimmt die Sterberate stetig ab – im vorigen Jahrzehnt um 20 Prozent – doch nur bei Männern. Frauen hingegen bekommen sogar häufiger Lungenkrebs. Bei ihnen steigt auch die Sterblichkeit durch Lungenkarzinome, in den vergangenen zehn Jahren um fast 30 Prozent. „Der Unterschied ist eklatant und tritt nur bei dieser Tumorart auf“, sagt die Molekularbiologin Rita Seeböck. Sie versucht an der IMC FH Krems diagnostische Parameter festzumachen, die eine gendersensible Therapie ermöglichen. Damit ist das Forschungsfeld für die personalisierte Medizin besonders spannend.

„Meine Zwillingsschwester wusste schon im Kindergarten, dass sie Zahnärztin wird. Bei mir war das anders, aber es hat sich immer wieder etwas Spannendes ergeben“, erzählt die Wissenschaftlerin. Ein Blick auf den Lebenslauf der Biotechnologin lässt daran keine Zweifel. Nach dem Biotechnologiestudium an der Kremser Fachhochschule IMC war Seeböck technische Assistentin am Max-F.-Perutz-Labor. Danach schrieb sie ihr Doktorat an der Med-Uni Innsbruck und arbeitete parallel dazu am Dr.-Obrist-Dr.-Brunhuber-Labor in Zams an der Weiterentwicklung molekularpathologischer Diagnosemethoden.

Umwelteinflüsse stärker beachten

„Seit dem Studienanfang konnte ich eine Horizontverschiebung miterleben. Die Dissertationen meiner Doktorväter charakterisierten ein bestimmtes Protein. Ich habe mir angesehen: Wie verhält sich das Protein in der ganzen Signalkaskade?“, erläutert die Molekularbiologin. „Und mittlerweile betrachtet man schon die Auswirkung auf das gesamte Proteom, also auf die Gesamtheit aller Proteine in einer Zelle.“So erklärte Seeböck kürzlich in einer Break-out-Session beim Europäischen Forum Alpbach, wie ihr Forschungsbereich in jüngster Zeit immer komplexer wurde. Warum macht eine Leberzelle etwas anderes als eine Muskelzelle oder eine Hautzelle? Immerhin haben alle Zellen unseres Körpers die gleiche DNA zur Verfügung. Um das herauszufinden, reicht die Genetik allein nicht aus.

„Die Erklärung dafür liegt in der Epigenetik“, sagt Seeböck. Dieses Fachgebiet der Biologie befasst sich mit der Frage, welche Faktoren die Aktivität eines Gens und damit die Entwicklung der Zelle zeitweilig festlegen. Die Epigenetik erforscht also alles, was das Genom reguliert, ohne die DNA-Sequenz zu verändern. Dazu zählen auch Faktoren wie Lebensstil, Ernährung und Umwelteinflüsse, denen in der Epigenetik immer mehr Beachtung geschenkt wird. „Natürlich ist es nichts Neues, dass ausgewogene Ernährung, ausreichend Bewegung und Stressvermeidung wichtig sind, um gesund zu bleiben“, sagt die Forscherin, „aber die Epigenetik ermöglicht uns auf einer weiteren Ebene die molekularen Wirkungsmechanismen dahinter zu untersuchen und zu verstehen.“

Trotz gleicher genetischer Voraussetzungen kann die molekulare Beschaffenheit eines Tumors bei Männern und Frauen ganz unterschiedlich ausfallen. Warum das so ist, ist noch unklar. „Wir hoffen, dass wir in der Epigenetik Antworten auf diese Fragen finden.“ Indem man neben Alter und Geschlecht der Patienten auch das zelluläre Umfeld und den Lebenswandel berücksichtigt, kann man die medizinische Behandlung personalisieren.

Die Veränderung einer einzelnen Aminosäure eines speziellen Proteins entscheidet oft über die Therapie. Dabei können Patienten mit der exakt gleichen Diagnose höchst unterschiedlich auf eine Therapie ansprechen. Während eine Behandlung bei einer Person komplikationslos und erfolgreich wirkt, treten bei einer anderen vermehrt Nebenwirkungen auf oder der erhoffte Nutzen bleibt gänzlich aus. Personalisierte Medizin versucht Behandlungen individuell anzupassen und rascher zu ermöglichen. Mit den Möglichkeiten der modernen Diagnostik einschließlich der Gendiagnostik, soll man rasch wissen, ob ein Medikament bei einem Patienten oder einer Patientin voraussichtlich wirksam oder überhaupt verträglich ist und wie es am besten dosiert wird.

„Die Entschlüsselung das Genoms war ein Meilenstein in der Biomedizin, aber mit den vielen Antworten kamen auch unzählige neue Fragen und so stehen wir immer wieder vor neuen spannenden Herausforderungen“ – das fasziniert Rita Seeböck am meisten an ihrer Forschung. Fragt man sie nach ihrer Freizeit, so blickt sie zuerst in die Tiroler Bergwelt und deutet dann auf ihr Tattoo am Handgelenk: ein Fahrrad. „So eine Landschaft wie in Alpbach inspiriert einen zum Mountainbiken.“ Für sie ist das zugleich Leidenschaft und Ausgleich.

ZUR PERSON

Rita Seeböck (30) wurde in Lilienfeld geboren. Sie arbeitet seit fast zehn Jahren in der biomedizinischen Forschung, seit sieben Jahren in der Krebsforschung. Ihre Dissertation schrieb sie über das Harnblasenkarzinom. In der Abteilung für Biowissenschaften am Kremser IMC leitet sie ein vom Technologieministerium gefördertes FEMtech-Projekt. Darin untersucht sie die geschlechtsspezifischen Ursachen von Lungenkrebs.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 17.09.2016)

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